Epigenetische Vererbung
Vielen Organismen bereitet die hohe Geschwindigkeit des Klimawandels große Probleme. Ein internationales Team von Forschenden unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat jetzt bei einer Fischart in der Ostsee nachgewiesen, dass Vererbungsprozesse der sogenannten Epigenetik die Anpassungsfähigkeit zwar tatsächlich verbessern können, aber in geringerem Maße als bislang vermutet. Die Studie ist heute in der internationalen Fachzeitschrift Science Advances erschienen.
Das Klima auf unserem Planeten ändert sich – und zwar mit einer Geschwindigkeit, die in der Erdgeschichte ihresgleichen sucht. Ob und wie sich Tiere und Pflanzen daran anpassen können, ist eine der Fragen, die Forscherinnen und Forscher am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel beantworten möchten.
Lange Zeit ging man davon aus, dass die Anpassung an Umweltbedingungen ausschließlich über die Veränderung unseres Erbguts – der DNA-Basenabfolge – möglich ist. Nun rückt eine weitere Informationsebene der DNA, die Epigenetik, in den Fokus. Anhand einer Fischart aus der Ostsee, des Dreistachligen Stichlings, hat ein international zusammengesetztes Team untersucht, wie stark die Epigenetik zur Anpassungsfähigkeit an verschiedene Umweltbedingungen beiträgt. „Unser Experiment zeigt, dass die Epigenetik die Anpassung beeinflusst, allerdings sind dabei die Veränderungen von einer Generation zur nächsten geringer als bislang angenommen“, sagt die Biologin Dr. Melanie Heckwolf vom GEOMAR. Sie ist eine von zwei Hauptautorinnen der Studie, die jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Science Advances erschienen ist.
Doch was unterscheidet Veränderungen der DNA von Veränderungen der Epigenetik? „Individuen mit bestimmten vererbbaren Merkmalen, die in der DNA gespeichert sind, können besser oder schlechter mit ihrer Umwelt umgehen. Diejenigen Individuen, welche optimal an ihre Umwelt angepasst sind, überleben im Schnitt häufiger und länger und zeugen somit mehr Nachkommen. Langfristig setzen sich ihre in der DNA gespeicherten Eigenschaften durch. Diesen Prozess nennt man Selektion“, erklärt Dr. Britta Meyer vom GEOMAR, zweite Hauptautorin der Studie. Die Selektion benötigt aber viel Zeit, und Zeit ist angesichts des raschen Klimawandels knapp.
Epigenetische Prozesse beeinflussen dagegen chemisch die Struktur der DNA. Sie aktivieren oder deaktivieren Bereiche des Erbgutes, die für bestimmte Eigenschaften eines Organismus verantwortlich sind. Es gibt „stabile“ epigenetische Marker, welche durch Selektion ähnlich zur Anpassung beitragen wie die DNA selbst. Außerdem gibt es sogenannte „induzierbare“ Marker, die sich während des Lebens eines einzelnen Organismus ändern können. Geschieht dies in den Geschlechtszellen der Eltern, sind ihre Nachkommen direkt besser an die veränderten Umweltbedingungen angepasst. Von induzierbaren Markern erhoffen sich viele Wissenschaftler daher, dass sie das Überleben von Organismen in Zeiten von schnellen Veränderungen sicherstellen.
Die Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Thorsten Reusch (GEOMAR) und Dr. Christophe Eizaguirre (Queen Mary University, London, UK) haben nun untersucht, wie häufig diese stabilen und induzierbaren Marker im Verhältnis zueinander auftreten und wie viel besser die Nachkommen im Vergleich zu ihren Eltern angepasst sind. Sie nutzten den in der Ostsee vorkommenden Dreistachligen Stichling, weil er schon an verschiedene Salz-, Süß- und auch Brackwasserbedingungen angepasst ist. Die Ostsee ist zudem ein besonders gut geeignetes Modell, da die Auswirkungen des Klimawandels dort schon deutlich hervortreten.
„Um herauszufinden, welche genetischen und epigenetischen Wege der Anpassung der Stichling bisher genutzt hat, haben wir uns drei Stichlings Populationen aus verschiedenen Regionen der Nord- und Ostsee mit unterschiedlichen Salzgehalten etwas genauer“ angesehen“, erläutert Dr. Meyer. Dabei stellte das Team fest, dass sich die verschiedenen Populationen in ihren genetischen und epigenetischen Mustern unterschieden und auch unterschiedliche Toleranzen gegenüber Veränderungen des Salzgehalts haben. In einem Experiment über mehrere Stichlings-Generationen konnte das Team außerdem zeigen, dass induzierbare Marker zur Anpassung beitragen, allerdings zu einem geringeren Maße als zunächst angenommen.
Am Ende zeigt die Studie, dass Organismen auch mit epigenetischen Mitteln der Anpassung irgendwann an ihre Grenzen stoßen werden. „Wir müssen aufpassen, dass wir dieses spannende jedoch wenig verstandene Forschungsfeld der Epigenetik nicht als Retter aller Arten im Klimawandel überinterpretieren“, sagt Melanie Heckwolf, „der Klimawandel ist und bleibt eine der größten Herausforderungen für einzelne Arten und ganze Ökosysteme. Sie lässt sich auch nicht mit den aktuellen Erkenntnissen in der Epigenetik wegdiskutieren.“
Text: GEOMAR, Foto: M. Heckwolf, GEOMAR