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Freundeskreis U 995 haucht U-Boot Leben ein

Im E-Maschinenraum hängen Leinen mit Wäsche zum Trocknen, im Dieselmaschinenraum wummern die Maschinen, in der Kombüse duftet es nach Essen, im Unteroffiziersraum schnarcht jemand in einer mit Laken verhangenen Koje, in der Zentrale studieren zwei Männer Seekarten, in der Offiziersmesse liest der Zweite Wachoffizier in seiner Freiwache ein Buch, während im Hintergrund ein Radio leise Musik dudelt, im Oberfeldwebelraum hängen Netze mit Brot, Konserven und Schüsseln, im Bugraum stehen Kisten mit Eiern zwischen Seesäcken und anderem Hab und Gut. Am vergangen Wochenende verwandelte die Marinekameradschaft (MK) Freundeskreis U 995 das Technische Museum U 995 in Laboe in ein lebendiges Museum – zur großen Freude der Besucher.

Die Idee dazu kam Paul-Patrick Schröder und seinen Mitstreitern vor gut einem Jahr, als im Technischen Museum U 995 Dreharbeiten für eine internationale Dokumentation stattfanden, für die Schröder als historischer Berater vor Ort war. „Als wir das Boot mit all den Requisiten und den Menschen in der Kleidung von damals sahen, dachten wir uns, das könnten wir doch auch mal als lebendiges Museum machen, um so den Leuten die wirkliche Enge an Bord näher zu bringen“, erläutert Schröder. Und so wuchs aus der Idee eine Unternehmung, mit der auch die Gründung der Marinekameradschaft Freundeskreis U 995 am 28. September 2019 einherging.

Am Wochenende des 22./23. Februar 2020 war es dann soweit, das lebendige Museum U 995 öffnete seine Schotten. Und während Wind und Regen um das U-Boot kachelten, erlebten die Besucher im Inneren, wie das „Bordleben“ vor 75 Jahren aussah.

Während Schröder als Erster Wachoffizier interessierte Besucher auf eine Führung mit durchs Boot nimmt, sind seine elf Kollegen in originalgetreuer Montur auf die einzelnen Räume verteilt, um den Besuchern Rede und Antwort zu stehen. Los geht es im Hecktorpedoraum und E-Maschinenraum, wo der Leitende Ingenieur Wellnitz alias Thomas Huss zur Veranschaulichung geräuschvoll Hebel umlegt. „Man war also gar nicht so leise unterwegs, wie man es sich auf einer „Schleichfahrt“ vielleicht vorstellt“, erklärt Huss, unterstützt vom E-Obermaschinisten Bosse. „Dieses Schalten war im Umkreis von drei Kilometern um das U-Boot herum zu hören.“

Im Dieselmaschinenraum steht Obermaschinist Boysen und erklärt mit lauter Stimme seinen Aufgabenbereich, um gegen die Motorengeräusche anzukommen, die aus einem versteckten Lautsprecher dringen. „Die Motoren sind auf eine noch recht angenehme Lautstärke eingestellt“, sagt Boysen. „Damals war es hier so laut, dass man sich nur mit Zeichen und durch Blickkontakt verständigen konnte.“ Außerdem war der Dieselmaschinenraum der heißeste Ort im gesamten Boot. Dort konnten Temperaturen bis zu 60° C erreicht werden. Hinzu kam der Dieselgestank, den die Männer ertragen mussten. Der Maschinist kannte jede Schraube und konnte die gesamte Anlage blind auseinander und wieder zusammensetzen. „Das war überlebenswichtig“, so Boysen. „Denn wenn ihm auch nur ein kleiner Fehler unterlief, konnte das fatale Folgen haben.“

Hinter dem Dieselmaschinenraum liegt die winzige Kombüse. Kaum zu glauben, dass auf diesem engen Raum das Essen für bis zu 50 Mann Besatzung gekocht wurde. Hier steht Smut Leonhardt, dargestellt von Daniel Scheufler, und ist in seinem Element. Auf einem Klemmbrett hängt der Speiseplan, den es exakt so am 22./23. Februar 1945 gegeben hat. „Die Verpflegung auf einem U-Boot war verhältnismäßig gut“, so der Smut. „Das Leben an Bord war auch so schon beschwerlich genug.“ Vor allem in der Kombüse fällt die Liebe zum Detail auf, mit der die Mannschaft alles hergerichtet hat. „Das Sammeln der gesamten Ausstattung hat Monate gedauert“, sagt Smut Scheufler. In der Kombüse etwa hängen auf engstem Raum Würste und Schinken, stapeln sich Kisten und Konserven – alles so originalgetreu wie möglich. „Viele Museen machen den Fehler, dass sie Kisten, Dosen und Schachteln mit einer Patina versehen, die die Gegenstände alt aussehen lässt“, erklärt er. „Das haben wir nicht getan, denn damals waren die Dinge ja nagelneu.“ Klingt logisch. In den Schachteln und Dosen im Regal sind sogar Lebensmittel drin und jeder Besucher, der an der Kombüse vorbei kommt und hungrig ausschaut, wird vom Smut mit einem Apfelstück oder einem Wurstbrot versorgt. So geht lebendiges Museum.

In der Zentrale erwartet Leszek Brügmann in der Funktion des Steuermanns die Besucher, um ihnen das „Gehirn“ des U-Bootes zu erläutern. Dort hängt unter anderem Ölzeug, das die Männer getragen haben, wenn sie Wache auf dem Turm hatten. Es ist schwarz, dickwandig und sperrig. „Wache und Freiwache wechselten in der Regel im Vier-Stunden-Takt“, erklärt Brügmann, der seine Rolle mit ihren Aufgaben und Tätigkeiten überzeugend vermittelt. „Und nach vier Stunden oben auf dem Turm war man definitiv auch reif für die Ablösung.“

Es folgen die Unterkunft des Kommandanten, die Offiziersmesse und der Wohn- und Schlafbereich der übrigen Mannschaft, die sich ihre Kojen im Bugraum mit den Torpedos teilen. Überall stehen Kisten, Konserven, Seesäcke und anderes Material herum. Es ist kaum vorstellbar, dass in dieser Enge bis zu 50 Mann Besatzung über Wochen zusammen gelebt und gearbeitet haben. Und eben genau das darzustellen, war das Ziel des Freundeskreises U 995. „Wir haben weder die Absicht, das Dritte Reich zu verherrlichen, noch sind wir ein Faschingsverein“, so Schröder ernst. „Wir sind uns bewusst, dass die Zeit, in der U 995 aktiv war, keine glückliche war. Doch wir sollten diese Zeit trotzdem nicht vergessen oder verdrängen, sondern uns kritisch damit auseinander setzen. Zudem ist das Technische Museum U 995 quasi eine leere Hülle, und als Besucher lässt man sich zu leicht von eben dieser geballten Technik berauschen. Doch nicht Schiffe kämpften, sondern Menschen. Und diese menschliche Komponente wollen wir hier mit einem unkonventionellen Ansatz vermitteln. Daher übernimmt auch jeder Darsteller die Rolle eines konkreten Besatzungsmitgliedes von U 995, dessen „Alter Ego“ somit abgebildet wird und auf diese Weise in direkten Kontakt mit den Besuchern tritt.“

In einem Schaukasten im Kommandantenraum sind einige Originalbilder und -dokumente ausgestellt, darunter auch Todesanzeigen. Denn eines ist klar, abgesehen davon, dass das Leben an Bord eines U-Bootes wahrlich kein Zuckerschlecken war: Die Angst fuhr immer mit. „Immerhin haben 35.000 U-Bootfahrer während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs ihr Leben verloren“, so Schröder. Auch das ist im lebendigen Museum präsent.

Trotz des widrigen Wetters war das Technische Museum U 995 am vergangenen Wochenende ein wahrer Besuchermagnet, was den Schluss nahelegt, dass U 995 nicht zum letzten Mal zum Leben erweckt wurde.

Text und Fotos: Jana Tresp, Deutscher Marinebund e.V.

Erster Wachoffizier Schröder und Obermaschinist Boysen erklären, wie eng und entbehrungsreich das Leben an Bord von U-Booten wie U 995 war.

Karten, Fernglas, Marinezirkel - alles liegt auf dem Kartentisch in der Zentrale so beieinander, wie es vor 75 Jahren auch gelegen haben könnte.

Der E-Maschinenraum war durch den benachbarten Dieselmaschinenraum einer der wärmeren Orte im U-Boot, so dass er sich ideal zum Wäschetrocknen eignete.

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