„Meeres-Schnee“ als Müllabfuhr für Mikroplastik?
Auch wenn es mit bloßem Auge meist nicht zu erkennen ist: Mikroplastik findet sich mittlerweile in allen Teilen des Ozeans. Doch die Konzentrationen nahe der Oberfläche müssten noch viel höher sein, wenn man die gewaltigen Müllmengen bedenkt, die jedes Jahr im Meer landen. Wo bleibt der Rest? Mit Modellsimulationen haben Forscherinnen und Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel die globale Rolle von „Marinem Schnee“ bei der Verteilung von Mikroplastik im Meer untersucht. Die Ergebnisse sind jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Frontiers in Marine Science erschienen.
Wie viel Plastik genau jedes Jahr in die Ozeane gelangt, ist nur schwer zu ermitteln. Wissenschaftliche Studien gehen von 4,8 bis zu 12,7 Millionen Tonnen aus. Im Gegensatz zu organischem Material werden die künstlichen Stoffe dort aber nur extrem langsam abgebaut. Sie zerfallen aber in immer kleinere Teile. Da die meisten Kunststoffe in Meerwasser schwimmen, könnte man erwarten, dass sich das gesamte Plastik an der Meeresoberfläche sammelt. Dort findet man auch Kunststoffe verschiedenster Größenklassen, aber lange nicht so viel, wie bei dem gegenwärtigen Mülleintrag zu erwarten wäre. Untersuchungen in den vergangenen Jahren konnten bereits zeigen, dass sogenannter „Mariner Schnee“, also biologische Partikel und Ausscheidungen von Planktonorganismen, Mikroplastikpartikel binden kann und so in die Tiefe der Ozeane transportiert.
Meeresforscherinnen und Meeresforscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel haben jetzt erstmals auf globaler Ebene modelliert, wie effektiv dieser Transportprozess Mikroplastik aus der Oberflächenschicht entfernt. Wie sie jetzt in einem Beitrag der internationalen Online-Fachzeitschrift Frontiers in Marine Science veröffentlichen, beseitigt der Meeres-Schnee Mikroplastik nicht sehr effektiv aus den oberen Wasserschichten – und diese Effektivität könnte in Zukunft weiter abnehmen. „Die Erwärmung der Ozean als Folge des Klimawandels wird die biologische Produktivität in verschiedenen Regionen unterschiedlich beeinflussen. Das wird sich auf den biologischen Mikroplastiktransport auswirken“, sagt Dr. Karin Kvale, vom GEOMAR, Erstautorin der neuen Studie.
In ihrer Studie verglichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Beobachtungen bekannte Mikroplastikkonzentrationen im Oberflächenozean in einem Erdsystemmodell mit der biologischen Produktion, um die mögliche Rate des Mikroplastiktransports weg von der Oberfläche abzuschätzen. „Geht man einfach von den Mengen aus, müsste Mariner Schnee sehr viel Mikroplastik aus den obersten Wasserschichten entfernen – so viel, dass nach zwei Jahren kein Mikroplastik mehr an der Meeresoberfläche wäre, wenn der Nachschub stoppen würde“, erklärt Dr. Kvale.
Dieser Erkenntnis widersprechen jedoch die erheblichen Mengen von Mikroplastik, die tatsächlich nahe der Ozeanoberfläche gefunden werden. „Daraus können wir nur schließen, dass der Marine Schnee die Mikroplastikpartikel zwar teilweise aus den Oberflächenschichten entfernt, aber sie nicht sehr gut bindet. Ein großer Teil wird wieder freigesetzt, bevor der Marine Schnee weit genug abgesunken ist, um das Mikroplastik endgültig mit in die Tiefe zu nehmen“, erläutert die Forscherin.
Da sich die biologische Produktivität in den Weltmeeren bei steigenden Temperaturen voraussichtlich ändern wird, hat das Team auch simuliert, wie sich diese Veränderungen auf den Transport von Mikroplastik mit Hilfe das marinen Schnees bei weiter steigenden Plastikmengen in den Ozeanen auswirken könnte. Dabei zeigte die Simulation, dass in den subtropischen Regionen die Effektivität des Mikroplastiktransports abnehmen wird. „Das sind genau die Regionen, in denen sich wegen der großen Meeresströmungen der meiste Müll sammelt“, sagt Dr. Kvale. In den polaren Regionen könnte der Transport in die Tiefe dagegen sogar zunehmen.
„Es gibt ein großes Rätsel um den Verbleib von riesigen Plastikmengen im Ozean. Unsere Studie trägt dazu bei, die Dynamik und die Wege des Mikroplastiks im Meerwasser besser nachzuvollziehen. In diesem Bereich ist aber noch viel Forschung nötig. Am besten wäre es ohnehin, wenn der Plastiknachschub von Land deutlich reduziert werden könnte“, fasst die Erstautorin zusammen.
Text: GEOMAR; Foto: Henk-Jan Hoving/GEOMAR