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Vor 160 Jahren

Ein Herbststurm hat vor 160 Jahren das Leben an den deutschen Küsten nachhaltig verändert. Die Strandung der Brigg „Alliance“ vor Borkum am 10. September 1860 war einer der entscheidenden Anstöße zur Gründung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Neun Seeleute fanden damals den Tod. Doch in der Folge wich die jahrhundertelange Hilflosigkeit der Küstenbevölkerung bei Seenotfällen innerhalb weniger Jahre der bis heute beispielhaften Hilfsbereitschaft der Seenotretter, die oft ihr eigenes Leben einsetzen, um andere zu retten.

Starker Sturm wehte bereits seit zwei Tagen, als die „Alliance“ vor Borkum auf Grund geriet. Nordwestlich der Insel teilt die große Sandbank „Borkum-Riff“ den Schifffahrtsweg in der Emsmündung. Die „Alliance“ war Borkum schon zu nahegekommen, als dass sie sich noch hätte von der Küste freikreuzen können. Etwa gegen 3 Uhr am Morgen lief sie auf Grund, schutzlos der anprallenden Brandung ausgeliefert. Verzweifelt kletterten die Seeleute ins Rigg, klammerten sich an den Wanten fest und standen auf den Fußleinen oder saßen rittlings auf den Rahen. Schon rissen die Brecher erste Planken aus der Außenhaut des Schiffes.

Als der Morgen graute, hörten die Borkumer Hilferufe, liefen zum Strand, unternahmen aber keine Rettungsversuche. Sie hielten es nicht nur für unmöglich, mit einem Boot unbeschadet durch die hohe Brandung zu stoßen, sondern betrachteten es seit jeher als gottgewolltes Schicksal, bei einem Unglück auf See zu sterben. Und sie fürchteten, bei Rettungsversuchen das eigene Boot zu verlieren, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestritten. Bis heute gehören Rettungen aus der Brandung zu den schwierigsten Einsätzen der Seenotretter.

Masten und Rahen nebst Segeln und Tauwerk der „Alliance“ stürzten bald in sich zusammen. Die Brandung spülte die Leichen der neun Schiffbrüchigen an den Strand. Die Borkumer bestatteten sie auf dem „Tränkeldoodskerkhof“, dem Heimatlosenfriedhof der Insel.

Jahr für Jahr gut 50 Schiffbrüche dürften seinerzeit vor der deutschen Nordseeküste die Regel gewesen sein. Bei der „Alliance“ war jedoch etwas anders: Ihr Fall blieb auf dem Festland nicht unbemerkt. Einer der wenigen Badegäste prangerte in der „Weser-Zeitung“ die Tatenlosigkeit der Insulaner ebenso an wie das Fehlen jeglicher Einrichtungen zur Rettung Schiffbrüchiger.

Das rief einen Mann auf den Plan, der den Grundgedanken eines einheitlichen deutschen Seenotrettungswerkes entwickelte. Der Vegesacker Navigationslehrer Adolph Bermpohl forderte noch im Herbst 1860 eine private nationale Rettungsgesellschaft nach englischem und niederländischem Vorbild – auf Basis von Spenden und freiwilliger Einsatzbereitschaft.

Seine Rufe fanden Gehör. Im März 1861 gründete Oberzollinspektor Georg Breusing den ersten regionalen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in Emden mit Rettungsstationen auf Juist und Langeoog. Die Gründung weiterer Vereine folgte entlang der Küste in Bremen, Hamburg, Kiel, Rostock und Danzig. Für ihren sinnvollen Zusammenschluss setzte sich der Bremer Redakteur Dr. Arwed Emminghaus ein. Am 29. Mai 1865 gründeten Vertreter der Einzelvereine in Kiel die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.

Heute unterhält die DGzRS auf 55 Stationen moderne Seenotrettungskreuzer und -boote. 180 fest angestellte und rund 800 freiwillige Seenotretter fahren Jahr für Jahr mehr als 2000 Einsätze – rund um die Uhr, bei jedem Wetter. Mehr als 85.000 Menschen verdanken der DGzRS seit der Gründung ihr Leben.

Auf Borkum ist seit April 2020 der jüngste Seenotrettungskreuzer stationiert: die fast 4.000 PS starke HAMBURG mit Tochterboot ST. PAULI. Die Bereitschaft der Rettungsmänner, uneigennützig rauszufahren, wenn andere Schiffe den schützenden Hafen anlaufen, hat sich ebenso wenig geändert wie die Organisationsform der DGzRS: Damals wie heute wird die gesamte Arbeit der Seenotretter ausschließlich durch freiwillige Beiträge und Spenden getragen, ohne jegliche öffentlich-staatliche Mittel in Anspruch zu nehmen.

Text und Fotos: Die Seenotretter – DGzRS

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