Buchtipp: Tatort Ukraine
Rainer Thesens Buch zum omnipräsenten Thema Krieg in der Ukraine hebt sich wohltuend von vielen veröffentlichten Äußerungen ab. Sein Schwerpunkt liegt auf juristischen Fragen, Betrachtungsweisen und Dimensionen von verschiedenen historisch-politischen Ereignissen („Fälle“). In einem ersten Teil (70 Seiten) will der Autor, ein ausgewiesener und fachkundiger Jurist und Staatswissenschaftler (Rechtsanwalt und Oberst d.R.), die mit dem Konflikt/dem Krieg in der Ukraine aufgetauchten juristischen Fragen und Probleme aufzeigen. Zum Nachschlagewerk wird das Buch durch die 130 folgenden „Dokumenten-Seiten“. So werden die textlichen Darstellungen und Erklärungen mit hieb- und stichfesten Dokumenten untermauert und vertieft. Gerade diese Kombination macht den besonderen Wert dieses Buches aus.
Der erste Teil beschäftigt sich u.a. mit Völkerrechtlichen Verträgen, mit dem Selbstbestimmungsrecht, mit Annexionsfragen, mit dem Recht zur Selbstverteidigung oder dem Genozid – natürlich immer auf den Tatort Ukraine bezogen. Auch die deutsche Ukraine-Politik wird gestreift, Aspekte wie Kriegsverbrechen, Söldner oder Propaganda als Mittel der Kriegsführung thematisiert. Thesen liefert gekonnt und verständlich formuliert ebenso Antworten auf Fragen wie bspw., ob die Waffen- und Ausrüstungslieferanten der Ukraine, also der Westen, damit zu einer Kriegspartei wird. Seine Ausführungen dazu basieren u.a. auf der UN-Charta, der Haager Landkriegsordnung sowie anderen internationalen Übereinkommen. Der Ton der Darstellungen ist nüchtern und sachlich, der Autor vermeidet, resp. minimiert politisch oder parteiisch oder moralisch gefärbte Aussagen. Für mich jedenfalls wohltuend und der Sache förderlich!
Der zweite Teil umfasst 14 Dokumente, darunter ist ein Auszug aus der Charta der Vereinten Nation aus dem Jahre 1945, ein Auszug aus dem „Statut des Internationalen Gerichtshofs“ von 1973, die sog. „Helsinki-Akte“ 1975, das sog. Budapester Abkommen von 1994, die Minsker Verträge I und II von 2014 und 2015.
Mit der Konzentration auf das Wesentliche und Notwendige gewährleistet der Autor Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit, man darf hoffen, dass Leser den Band immer wieder und gerne zur Hand nehmen.
Lohnenswert ist auch das Vorwort von Jürgen Reichardt. Der ehemalige General befasst sich unter der Überschrift „Der Traum vom Völkerrecht“ mit dem Traum nach einem allumfassenden Frieden, beginnend mit dem Westfälischen Frieden von 1648.
Rainer Thesen, Tatort Ukraine. Völkerrechtliche Betrachtungen. Mit einem Vorwort von Generalmajor a.D. Jürgen Reichardt. Book-Today, Bonn, ISBN 978-3-98197386-0, € 24,80
Text u. Foto: Dieter Ose/ws