Danzig ist eine Reise wert
Bei der diesjährigen Ausfahrt der Marinekameradschaft Helbra handelte es sich im wahrsten Sinne des Wortes um eine Große Fahrt, denn es sollte per Bus über 750 Kilometer nach Danzig, dem heutigen polnischen Gdansk, gehen. Deshalb sollte der Turn auch einen Tag länger dauern. Also, am 9. September um 6:00 Uhr, nachdem alles gebunkert war, ging es mit Vorfreude und Neugier los. Die meisten von uns waren noch nicht in dieser Stadt, in der der unselige Zweite Weltkrieg seinen Anfang nahm. Nach zehnstündiger Fahrt, auf übrigens sehr guten Straßen, kamen wir im Hotel an. Nach Abendessen, einigen Dienstbieren und dem obligatorischen Rundumblick waren wir doch bald in den Kojen verschwunden. Ein langer Tag lag hinter uns und ein solcher auch noch vor uns, denn wir hatten wie jedes Jahr gutes Wetter, um viel zu unternehmen.
Am zweiten Tag waren Busrundfahrt und Altstadtbesichtigung zu Fuß, mit deutschsprachiger Führung und mehreren Stunden Freizeit, angesagt. Alles Neue wurde mit sehr viel Interesse aufgenommen und mit großer Bewunderung, wie man aus dieser arg durch Krieg geschundenen, dem Erdboden gleichgemachten Stadt wieder das historische Stadtbild hatte entstehen lassen können. Um alles an Informationen sacken zu lassen, war die Zeit aber zu kurz. Trotzdem nahmen wir doch einige Erinnerungsstücke mit auf den Weg in die Heimat, wie ein Fläschchen 40-prozentigen Danziger-Goldwasser-Schnaps oder auch manche Stück vom begehrten Bernsteinschmuck. Ebenso gingen ein paar Postkarten an alte Kameraden, die krankheitshalber nicht bei uns sein konnten, auf die Reise. Da wir warmes Wetter hatten, ließen es sich doch einige Teilnehmer nicht nehmen, nach der Rückkehr aus der Stadt ein Bad in der nahen Ostsee zu nehmen. Der Abend klang wieder aus mit obligatorischem Abendessen, danach Strandspaziergang und Einkehr in strandnaher Biergartengaststätte. Der dritte Tag hielt wieder etwas Besonderes für uns bereit: eine Überfahrt mit einer Katamaran-Fähre zur Halbinsel Helsa, mit Zielpunkt ehemaliger Fischereihafen.
Die einstündige Fahrt ging von der Pier des größten Hafenbeckens des heutigen Hochseehafens Gdynia, dem ehemaligen Gdingen oder Gotenhafen, aus. Die als Katamaran ausgeführte Fähre lag in der oft sturmgepeitschten sogenannten Putziger Wiek, diesem Teil der Danziger Bucht, besonders stabil in der See. An der riesigen Pier lagen noch zwei Einheiten, die mir als marinehistorisch Interessiertem besonders ins Auge stachen. Das war einmal das Dreimast-Vollschiff „Dar Pomorcza“, die ehemalige „Eitel Friedrich“, das Schulschiff der Deutschen Handelsmarine vor dem ersten Weltkrieg. Es wurde 1928 von Polen durch Spenden gekauft und war bis 1982 als Schulschiff im Dienst. Und zum Zweiten eine Graue Einheit, der Zerstörer „Blyskawica“, mit NATO-Kennung. Dieser war schon im August 1939 nach England gelaufen, um sich dem deutschen Zugriff zu entziehen. Beide Schiffe sind jetzt Museumsschiffe. Da ich wieder alles genau sehen musste, war ich der Letzte, der die Stelling vor Abfahrt betrat.
Im ehemaligen Fischereihafen von Hela war natürlich reges Treiben, Schiffe, Boote, Touristen, Verpflegungsstände, Kneipen und Fisch…, eben eine Hafenstadt, Sehenswürdigkeiten zur Genüge, deutsche und polnische, wie restaurierte historische Fischerhäuser, Schiffsmuseum und ein Leuchtturmmodell aus Bernstein. Mit kleinen Elektrobussen konnte man eine Rundfahrt zu den polnischen Artilleriestellungen, die mit 4 mal 15 cm Kaliber sich Gefechte mit 28 cm Geschützen der alten (Stapellauf 1906) Linien- und Schulschiffe „Schleswig-Holstein“ und „Schlesien“ der Kriegsmarine im September 1939 lieferten. Hela und Gdingen gehörten zum sogenannten Polnischen Korridor, der 1920 von Deutschland abgetrennt und Polen zugeschlagen wurde.
Leider vertrieb uns Regenwasser von Hela und so waren wir auf der Fähre unter Deck. Trotzdem war gute Rundumsicht. Somit konnten wir auch Schiffsmanöver einiger Küstenmotorschiffe beobachten, die Mastteile von Windgeneratoren geladen hatten, die jetzt in der Danziger Werft gebaut werden. Aber meine Gedanken waren auch bei den marinehistorischen Ereignissen, die den Zweiten Weltkrieg auslösten, wie Beschießung der Westerplatte durch die „Schleswig-Holstein“ und durch zwei Minensuchbote oder die Beschießung von Leba und Gdingen zusammen mit der „Schlesien“. Dabei war die Westerplatte ein festungsartig armiertes polnisches Munitionslager in der vom Völkerbund kontrollierten Freien Stadt Danzig, die im Ergebnis des Ersten Weltkrieges von Deutschland abgetrennt wurde. Somit wurde durch diese Schüsse der Zweite Weltkrieg ausgelöst, da England und Frankreich Deutschland den Krieg erklärten, weil Polen ihre Beistandsgarantie hatte.
Nach Anlegen der Fähre gelangten wir trotzdem relativ trockenen Fußes wieder im Hotel an. Dabei ließen wir den Tag wieder wie üblich gemütlich ausklingen. Der letzte Tag war für die Heimreise reserviert. Da die Route parallel zur Ostseeküste verlief, kamen mir doch beim Passieren der Stadt Slupsk, dem alten Stolp mit seinem Hafen Stolpermünde, wieder marinehistorische Gedanken! Dann querab von Stolpermünde torpedierte das russische U-Boot „S13“ auf dem Tiefwasserweg die Flüchtlingsschiffe „Gustloff“, „Steuben“ und „Goya“ mit mehr als 20.000 Opfern, 1945, am Ende des Zweiten Weltkrieges. Für diese Opfer wird jedes Jahr am 1. September in Danzig ein Gedenkgottesdienst durchgeführt, so unsere Stadtführerin am Freitag.
Nach Ankunft in der Heimat hatten wir wieder vier schöne Tage im Kreis der Kameraden und deren Ehefrauen erlebt. Unser Fazit: Danzig ist eine Reise wert.
Text u. Foto: Hilmar Burghardt