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Erdbeben und Tsunamis in Europa?

Erdbeben und Tsunamis bedrohen nicht nur weit entfernte Küsten, sondern auch Häfen, Städte und Küsten in Europa. Ein neues Positionspapier des European Marine Board, dessen Erstellung am GEOMAR koordiniert wurde, informiert erstmals umfangreich über die marinen geologischen Gefahren, von denen alle europäischen Staaten betroffen sein können. Die vielfältigen Risiken sollten bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen stärker berücksichtigt werden.

Spätestens seit dem Tsunami, der im Dezember 2004 die Küsten um den Indischen Ozean verwüstete, und der Katastrophe von Fukushima im März 2011 ist den Menschen weltweit bewusst, dass geologische Vorgänge im Meer großen Schaden anrichten können. Aus europäischer Sicht scheinen sich solche Geo-Katastrophen meist in entfernten Regionen zu ereignen. „Vergessen wird vielfach, dass auch die europäischen Küsten an tektonisch sehr aktive Gebiete grenzen – und dass es auch hier in der Vergangenheit immer wieder zu Unglücken gekommen ist“, sagt Professorin Dr. Heidrun Kopp, Geophysikerin am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Co-Vorsitzende einer Arbeitsgruppe des European Marine Board zu diesem Thema. Das European Marine Board ist ein europaweiter Zusammenschluss großer nationaler Meeres- oder ozeanografischer Institute, Förderungseinrichtungen und nationaler Universitäts-Konsortien mit einem starken Schwerpunkt in der Meeresforschung. Unter Heidrun Kopps Leitung entstand nun ein Positionspapier zu marinen Geo-Gefahren.

Das Positionspapier „Marine geohazards: Safeguarding society and the Blue Economy from a hidden threat” (Marine Georisiken: Schutz der Gesellschaft und der Blauen Wirtschaft vor einer versteckten Bedrohung) informiert über schlummernde Risiken und gibt Empfehlungen für die zukünftige Forschung und Politik. Das Positionspapier wurde jetzt beim Achten Forum des European Marine Board „Supporting the Ocean Decade in Europe“ (Unterstützung für die Ozeandekade in Europa) in Brüssel, Belgien vorgestellt. „Das Positionspapier ist äußerst relevant für europäische Länder“, betont Heidrun Kopp. „Sollte sich an den europäischen Küsten eine Naturkatastrophe ereignen, wären alle Staaten der Europäischen Union involviert – sowohl in die Katastrophenhilfe als auch in die Finanzierung des Wiederaufbaus.“

Vielfältige Bedrohungen

Für das Positionspapier haben Wissenschaftler*innen aus den Mitglieds-Institutionen des European Marine Board eine Vielzahl an Gefahren identifiziert. Dazu zählen Erdbeben und Vulkanausbrüche, in deren Folge es zu Tsunamis kommen kann. Tsunamis können auch durch Erdrutsche am Meeresboden ausgelöst werden. Hinzu kommen kleinere Ereignisse, die zwar keine großen Verwüstungen aber erhebliche wirtschaftliche Schäden anrichten können. Beispielsweise können sich große Sandbänke am Meeresboden verschieben, ganz ähnlich wie Wanderdünen in der Wüste. Diese Sandbänke können Pipelines oder Tiefseekabel für die Kommunikation zerstören, durch die der Internetverkehr strömt. Dabei kommen schnell Schadenssummen in Höhe von vielen Millionen Euro zusammen. Heidrun Kopp: „Es geht uns also nicht darum, ein großes Katastrophenszenario heraufzubeschwören, sondern auf Bedrohungen aufmerksam zu machen, damit Politik und Behörden entsprechend vorbereitet sind und reagieren können.“ Nicht zuletzt, um bei der Raumplanung im Meer und bei Bauvorhaben die Risiken besser einschätzen zu können. „Die Wahrscheinlichkeiten, mit denen geologische Ereignisse wie etwa Erdbeben oder Vulkanausbrüche eintreten, haben sich im Laufe von Jahrmillionen nicht verändert. Das Ausmaß der Schäden aber wird immer größer, weil die Küsten immer dichter besiedelt werden, weil wir Häfen und Industrieanlagen an den Küsten und auf dem Meeresboden errichtet und dort generell große Werte akkumuliert haben.“

Eine detaillierte Karte des Meeresgrunds

Die Autor*innen des Positionspapiers betonen auch, dass noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, um die geologischen Gefahren in den europäischen Meeren besser einschätzen zu können. So fehle es bislang an einer hochaufgelösten Karte des Meeresbodens, in der die geologischen Bruchzonen und Ränder der Kontinentalplatten exakt zu erkennen sind, an denen sich häufig Erdbeben ereignen. Auch der Verlauf großer Sandbänke sei bislang nicht im Detail bekannt. Die Forscher*innen schlagen daher großangelegte Messprogramme vor, in denen der Meeresboden zentimetergenau kartiert werden soll. „Wir möchten darin jene Strukturen identifizieren, die besonders problematisch sind“, sagt Heidrun Kopp. „In vielen Fällen weiß man heute noch nicht genau, wo sich diese Stellen befinden. Wir kennen noch nicht einmal jenen Ort ganz genau, an dem sich im Jahr 1908 das Erdbeben von Messina ereignet hat – dabei hatte dieses Ereignis die höchsten Opferzahlen, die es jemals bei einem Unglück in Europa gegeben hat. Damals starben mehr als 80.000 Menschen.“

Große Messprogramme wären ein erster Schritt zu mehr Sicherheit. Im nächsten Schritt könne man dann die besonders kritischen Punkte mit einem Messnetz überziehen – so wie heute zum Beispiel bereits am Ätna. Die Flanke des Vulkans sackt schon seit langer Zeit jährlich um zwei bis drei Zentimeter ins Meer. Diese Bewegung ist üblich und nicht bedenklich. Sollte sich die Landmasse aber irgendwann schneller bewegen, würde das Messnetz Alarm geben – um vor einer großen untermeerischen Hangrutschung zu warnen. „Wichtigstes Ziel unseres Papiers ist es, diese Bedrohungen sichtbar zu machen“, sagt Heidrun Kopp. „Wir möchten dazu beitragen, dass den Menschen und den Entscheidern die Gefahren künftig stärker bewusst sind.“

Text: GEOMAR, Foto: Thore Sager/GEOMAR

Blick vom Forschungsschiff „SONNE“ auf den Ätna. Ein Kollaps der Ostflanke könnte einen Tsunami auslösen.
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