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Gase in der Nordsee

Der Gasausbruch bei einer Explorationsbohrung in der Nordsee im Jahr 1964 hinterließ einen 38 Meter tiefen Krater am Ozeanboden, bekannt als Figge Maar. Unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel untersuchten Wissenschaftler:innen die geologischen Gegebenheiten, die damals zu dem heftigen Austritt geführt haben. Die daraus resultierende Studie erscheint heute im Fachmagazin Earth Science, Systems and Society (ES3) der Geologischen Gesellschaft London. Das Verständnis über natürliche Wegsamkeiten von Gasen ist grundlegend für die sichere Nutzung des Meeresbodens im Rahmen der Umstellung unserer Energiesysteme, einschließlich der möglichen Speicherung von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre im Meeresboden.

Geologische Strukturen und insbesondere natürliche Wegsamkeiten von Gasen müssen genau verstanden werden, um das Risiko bei Tiefbohrungen in den Meeresboden abzuschätzen. Das ist das Fazit einer heute im Fachmagazin Earth Science, Systems and Society (ES3) der Geologischen Gesellschaft London (Geological Society London) veröffentlichten Studie von Wissenschaftler:innen vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, dem Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Universität Stockholm, Schweden, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Universität Bergen, Norwegen. Zum ersten Mal untersuchen Forschende darin die Vorkommnisse, die im Jahr 1964 zu einem abrupten Austritt von Stickstoff während einer Explorationsbohrung in der deutschen Nordsee geführt haben.

Die Bohrung traf eine Gasansammlung in 2.900 Metern unter dem Meeresboden der Nordsee. Das ursprüngliche Bohrloch konnte zwar verschlossen werden, doch das unter hohem Druck stehende Gas konnte ein System vorhandener Wegsamkeiten nutzen und trat 400 Meter entfernt von der Bohrplattform aus. Der Ausbruch hinterließ einen bis heute bestehenden Krater mit einem Durchmesser von mehr als einem halben Kilometer und etwa 38 Metern Tiefe, „Figge Maar“ genannt. Dabei wurden fast fünf Millionen Tonnen an Sediment transportiert. Versuche, den Gasaustritt zu kontrollieren, scheiterten. Nach einigen Wochen schwächte sich dieser von alleine ab. Die heutigen Gasemissionen am Figge Maar haben nur noch geringe Intensität und bestehen hauptsächlich aus biogenem Methan, das durch den Abbau organischen Materials durch methanbildende Mikroorganismen verursacht wird. Die Bohrstelle wurde verlassen. Der Krater hat sich seitdem auf natürliche Weise wieder mit Sediment verfüllt, er ist inzwischen noch etwa zwölf Meter tief.

Für die Studie wurden seismische und hydroakustische Daten von drei geowissenschaftlichen Untersuchungen des Figge Maar erfasst. Auf den Forschungsfahrten wurden zudem Gasproben genommen und ausgewertet.

„Das Wissen um geologische Gegebenheiten ist ein absolutes Muss, wenn wir an Bohrungen im Meeresboden denken“, sagt Dr. Jens Karstens, Erstautor der Studie und mariner Geowissenschaftler für die Dynamik des Ozeanbodens am GEOMAR. „Anhand des Figge Maar sehen wir, dass man das natürliche System verstehen muss, damit man solche ungewollten, und vor allem gefährlichen Überraschungen verhindern kann.“

Aufbauend auf das Verständnis der natürlichen Wegsamkeiten von Gasen durch die Ergebnisse der Studie, wollen die Wissenschaftler:innen nun Strategien für die Erkundung und Überwachung von möglichen submarinen Speicherstätten von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre im Meeresboden schaffen: „Mit dem Wissen unserer Forschung können wir nun genauere Anforderungen für eine dauerhafte und sichere Speicherung von atmosphärischem CO2 definieren. Hier ist das Risiko für einen vergleichbaren Blowout zwar nicht gegeben, jedoch sollten auch kleinere, schleichende Austritte von Kohlendioxid vermieden werden, um eine nachhaltige Speicherung für lange Zeiträume zu ermöglichen“, fügt Dr. Karstens hinzu.

Natürliche Vorkommen von Methan und Stickstoff im Untergrund stehen oft unter hohem Druck. Daher konnte es mangels genügender Kenntnis über die Lagerstätte und ihrer Umgebung im Figge Maar-Fall zu einem Ausbruch kommen. Bei der Speicherung von CO2 im Untergrund sucht man eher großflächige Schichten, welche durch darüberliegende Schichten versiegelt sind, in denen sich das CO2 ausbreiten kann, ohne hohe Überdrücke zu erzeugen. Diese müssen allerdings trotzdem möglichst arm an natürlichen Fluidwegsamkeiten sein, um das Kohlendioxid dauerhaft zu halten. Das hierfür notwendige Grundlagenwissen und geeignete Überwachungsstrategien müssen in den nächsten Jahren erarbeitet werden, um mögliche zukünftige Speicheraktivitäten unabhängig bewerten zu können.

Die Studie wurde im Rahmen des EU-geförderten Projekts „Strategien für die Umweltüberwachung der marinen Kohlenstoffabscheidung und -speicherung“ (Strategies for environmental monitoring of marine carbon capture and storage, STEMM-CCS) durchgeführt. Das Projekt forschte von 2016 bis 2020 an Fragestellungen mit der Zielsetzung, vorhandene Wissenslücken bei Ansätzen und Methoden zu schließen, die für eine effektive Umweltüberwachung von Speicherstätten für Kohlendioxid im Ozean erforderlich sind. Die Erforschung natürlicher Fluidwegsamkeiten und der Sicherheit von geologischen CO2-Speicherstätten in der Nordsee wird in Zukunft im Forschungsprojekt „Submarine Kohlendioxid-Speicherung in Geologischen Formationen der Deutschen Nordsee“ (GEOSTOR) weitergeführt.

Text: GEOMAR; Foto: Helene-Sophie Hilbert/GEOMAR

Messungen auf der Figge Maar-Expedition
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