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Herz an der Angel

Ein ganz ungewöhnlicher Titel für die Autobiografie eines hohen Militärs, illustriert auch durch das Cover-Foto: der General inmitten seiner Soldaten, ein „Menschenfischer“ und -führer, ein Mann der Truppe auf seinem langen Marsch durch die Bundeswehr, der ihn schließlich auf deren höchsten militärischen Dienstposten führt – von der Musterung „leicht verlegener junger Männer“ bis zum Kommandeur Panzerbrigade, wo sich der gelernte Artillerist erst einmal zum Richtschützen auf dem Leopard 2 ausbilden lässt. Stabs- und Ministeriumsverwendungen, nach der Wiedervereinigung Kommandeur 9. Panzerdivision in Eggesin und schließlich im Juli 1997 als Befehlshaber Wehrbereich VII das Ereignis, das ihn ins Rampenlicht befördert und zeitweilig zum Medienstar werden lässt: „Militärische Verteidigung“ einer 165 km langem Deichlinie gegen die Oderflut – in einem hochkomplexen „Gefechtsbild“, mit 30.000 Soldaten und „Führung von vorn“.

1999 dann Generalinspekteur, als „Soldat unter Soldaten“, und auch die Marine muss beim Truppenbesuch des GI, gemeinsam mit diesem und entlang der mecklenburgischen Küste, marschieren. Schließlich Ministerwechsel, Kosovo-Einsatz, Überlegungen zur Strukturreform der Bundeswehr, Meinungsverschiedenheiten mit dem neuen Minister und beiderseitiger Vertrauensverlust, der Abschied aus dem Amt auf eigenen Wunsch, souverän-sachlich beschrieben und ganz ohne ‚Nachkarten‘. Von Ruhestand dann keine Rede: Präsident der Johanniter-Unfall-Hilfe und wieder Katastrophenhelfer, 2002 beim Elbhochwasser in Sachsen und erneut 2013, als sich die von ihm im ‚Kirchbach-Bericht‘ niedergelegten ‚operativen‘ Erfahrungen umsetzen lassen und heute wieder, an der Ahr, traurige Aktualität erlangt haben.

Derart formieren sich die Stationen seines militärischen Lebens zu einem schillernden und authentischen Bild des Truppenalltags 1960-2000, neudeutsch ‚Inside Bundeswehr‘ – eine in Verwendungsabfolgen kondensierte Militärgeschichte, erinnerungsstark und unprätentiös, dabei nicht nur Autobiografie, sondern auch ein Lehr- und Handbuch zugewandter, gleichwohl entschiedener Menschenführung. Von Kirchbach „wollte kein Geschichtsbuch, sondern ein Buch mit Geschichten schreiben.“ Letztlich ist es beides geworden. „Es gibt eine Echtheit, die sich sofort überträgt.“ So Kurt Tucholsky einst über die Romane Hans Falladas. Es könnte auch über diesem Buch stehen.

Hans Peter von Kirchbach, Herz an der Angel. Miles-Verlag. Berlin 2021. 363 S. 19.80 Euro. ISBN 978-3-96776-035-4

Text: Frank Ganseuer, Foto: Miles-Verlag

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