Kohlenstoff-Hotspots in der Ostsee
Ozeane zählen zu den größten Kohlenstoffspeichern auf unserem Planeten. Ein wichtiger Faktor hierbei sind Meerespflanzen wie Seegraswiesen, Mangrovenwälder und Salzwiesen, die den Kohlenstoff im Boden festsetzen. In der deutschen Ostsee speichern zum Beispiel Seegraswiesen derzeit etwa 3 bis 12 Megatonnen. Das ist deutlich mehr, als zuvor bekannt war, wie die ersten Ergebnisse von Dr. Angela Stevenson vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zeigen.
In der deutschen Ostsee besiedeln Seegraswiesen eine Fläche von knapp 300 Quadratkilometern. Sie schützen den Meeresboden und verhindern damit, dass der im Boden gebundene Kohlenstoff in den Ozean gelangt. Die Pflanzen können dadurch 29 bis 56 Kilotonnen Kohlendioxid pro Jahr binden. Um den genauen Kohlenstoffbestand in Seegraswiesen zu bestimmen, hat Dr. Angela Stevenson im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative Meeresbodenproben an verschiedenen Stellen entlang der gesamten deutschen Ostseeküste gesammelt und analysiert: „Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass hier sehr viel Kohlenstoff gespeichert ist, deutlich mehr als zuvor bekannt war. Die Sedimente unter Seegraswiesen sind zwei- bis sechzigmal so reich an organischem Kohlenstoff wie Sedimente ohne Seegras.“
Seegraswiesen, die vor Wellen geschützt waren, konnten mehr organischen Kohlenstoff speichern, weil der Meeresboden weniger Bewegung ausgesetzt war. Zudem konnte das GEOMAR-Team eine weitere unerwartete Entdeckung machen: „Wir haben auf unseren Tauchgängen an einigen Stellen regelrechte Hotspots gefunden, in denen 50-mal mehr organischer Kohlenstoff gespeichert war, als im bloßen Sediment“, sagt Stevenson. „Wir haben eigentlich mit niedrigen Werten gerechnet, weil das Seegras hier starken Wellenaktivitäten ausgesetzt ist.“ Wieso sich diese Hotspots bilden, will die Meeresforscherin nun herausfinden: „Sie können nicht allein durch Wellenexposition oder Meerwassertiefe erklärt werden.“ Die Wissenschaftler*innen haben in manchen Sediment-Proben auch erstaunlicherweise gut erhaltene Holzstücke gefunden. Diese könnten aus früheren Zeiten stammen, bevor Seegras an diesen Stellen gewachsen ist, möglicherweise sogar bevor der Meeresspiegel nach der Eiszeit anstieg. „Das ist aber erstmal nur eine Hypothese“, sagt Stevenson. „Wir müssen unsere Proben noch datieren, um zu wissen, aus welcher Zeit das terrestrische Material stammt.“
Seegraswiesen und andere Meerespflanzen speichern sehr effizient Kohlenstoff und leisten damit einen wichtigen Beitrag, um Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren. Das GEOMAR entwickelt deshalb im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „SeaStore“ Techniken, mit denen Lebensräume von Seegraswiesen entlang der gesamten deutschen Ostseeküste wiederhergestellt oder ausgebaut werden sollen. An der Küste von Schleswig-Holstein zum Beispiel wäre das eine Fläche von etwa 450 Quadratkilometern, die mit Seegras besiedelt werden könnte.
„Mit den Daten aus unserem Projekt in der Helmholtz-Klima-Initiative können wir Standorte erkennen, die viel Kohlenstoff speichern könnten und hier gezielt Seegras anpflanzen“, sagt Stevenson. In Zukunft könnten sich auch Nicht-Wissenschaftler*innen am Schutz der Wiesen beteiligen: „Wir wollen zum Beispiel die vielen Amateur-Taucher*innen in Deutschland mit einbeziehen, die Gesundheit der neu restaurierten Seegraswiesen zu überwachen und beim Anpflanzen von Seegras zu helfen – wie bei einem Unterwasser-Gemeinschaftsgarten.“
Text: GEOMAR, Foto: Tadhg O Corcora