Neue Erkenntnisse aus Driftanalysen der MH370 Trümmer
Seit mehr als fünf Jahren wird die Boeing 777 der Malaysia Airlines (MH370) vermisst. Trotz angespülter Wrackteile wurde die umfangreiche und teure Suchaktion inzwischen erfolglos eingestellt. Auch ein europäisches Wissenschaftlerkonsortium unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel trug mit Driftanalysen basierend auf Flugzeugwrackteilen dazu bei, das wahrscheinlichste Absturzgebiet einzugrenzen. In einer neuen Studie, die jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Journal of Operational Oceanographyveröffentlicht wurde, werden die angewendeten Methoden und Ergebnisse diskutiert und Strategien für eine Optimierung zukünftiger interdisziplinärer Arbeiten dieser Art vorgeschlagen.
Die letzte genaue Position der Boeing 777 der Malaysia Airlines Flug MH370, die am 8. März 2014 von den Radarschirmen der Flugverkehrskontrolle verschwand, bleibt noch immer ein Rätsel. Mehrere großangelegte Suchaktionen blieben erfolglos. Als in den Folgejahren vor den Küsten von La Réunion und Ostafrikas Wrackteile angespült wurden, keimte Hoffnung auf, das Wrack endlich zu finden. Auch ein Team des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hatte sofort nach dem Fund einer Flügelklappe auf La Réunion im Jahr 2015 damit begonnen, deren mögliche Verdriftung mit einem Computermodell zurückzuverfolgen, in der Hoffnung, das Absturzgebiet einzugrenzen zu können. Ein paar Monate später war ein europäisches Konsortium in der Lage die Ergebnisse zu präzisieren, indem es den Effekt von Oberflächenwellen berücksichtigte. Ihr Ergebnis: Das wahrscheinlichste Absturzgebiet der MH370 liegt westlich von Australien, aber nördlich des damaligen Suchgebietes.
Seit dem, auch nach Einstellung der Suche, haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung des GEOMAR in Kooperation mit dem britischen National Oceanography Centre (NOC), dem Mercator Océan in Toulouse und dem European Centre of Medium-Range Weather Forecasts (ECMWF) in Reading weiter mit der Simulation von treibenden Trümmerteilen beschäftigt. Ziel der Arbeiten war es, Strategien für zukünftige Anwendungen zu etablieren, um quasi in Echtzeit verlässliche Aussagen treffen zu können. In ihrer Studie weisen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Bedeutung hin, Oberflächenwellen in den Berechnungen zu berücksichtigen, präzisieren die Nutzung von Simulationstechniken und der verwendeten statistischen Verfahren und zeigen ferner, inwieweit die Verwendung von weiteren Trümmerteilen zu einer Verbesserung der Ergebnisse führt oder nicht.
Aus der Sicht der Forschenden ist für die Fortbewegung von Teilchen an der Ozeanoberfläche neben der Oberflächenströmung und Wind auch die sogenannte „Stokes Drift“ von zentraler Bedeutung. Die Stokes Drift beschreibt die Nettobewegung eines Objektes durch vorbeiziehende Oberflächenwellen. Die nun vorgelegte Studie zeigt, dass dieser Prozess viel wichtiger ist, als bisher angenommen. „Die Stokes Drift in Simulationen zu vernachlässigen kann zu großen Fehlern führen, wie wir am Beispiel der MH370 belegen konnten. Alle Anwendungen, die das Treiben von Teilen an der Meeresoberfläche untersuchen, sollten diesen Prozess berücksichtigen, um präzisere Ergebnisse zu erhalten“, erläutert Dr. Jonathan Durgadoo vom GEOMAR, leitender Wissenschaftler der Studie.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verglichen Methoden der Vorwärts- und Rückwärtsverfolgung, um die Unterschiede in Simulationen zu untersuchen. Der Weg eines Objektes kann dabei sowohl zeitlich zurückverfolgt als auch prognostiziert werden. „Die von uns angewendeten unterschiedlichen Verfolgungsansätze bieten eine solide Basis und ermöglichen es, Unsicherheiten einzuschätzen. Diese können nur minimiert dann werden, indem eine ausreichende große Anzahl an virtuellen Objekten für die Simulationen benutzt wird“, fährt Jonathan Durgadoo fort.
Im Fall von MH370 haben die Forschenden ihre erste Analyse, die auf einer auf La Réunion gefundenen Flügelklappe 2015 basierte, erweitert und auch weitere Trümmerteile, die später entdeckt wurden, mit einbezogen. Trotz der Berücksichtigung dieser Wrackteile, konnte das Absturzgebiet aber nicht signifikant eingegrenzt werden. Deshalb gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass hierfür mehr Kenntnisse über die Auftriebseigenschaften der angespülten Teile notwendig sind.Ferner spielt die Unsicherheit, wieviel Zeit zwischen dem Anspülen der Wrackteile an Land und deren Fund vergangen ist, eine wichtige Rolle. „Leider stehen uns solche Informationen nicht zur Verfügung. Unsere gegenwärtigen Prognosen deuten darauf hin, dass genaue Informationen über mindestens fünf Gegenstände notwendig ist, um das Absturzgebiet hinreichend einzugrenzen“, betont Prof. Dr. Arne Biastoch, Teamleiter vom GEOMAR.
Die Hoffnung neue Daten über die Drifteigenschaften der Trümmerteile zu bekommen, ist allerdings gering. Dennoch zieht Jonathan Durgadoo eine positive Bilanz: „Unsere Untersuchungen im Fall MH370 haben letztendlich dazu beigetragen, zukünftig auf solche Anwendungen besser vorbereitet zu sein“.
„Das in dieser Studie gemeinsam genutzte Ozeanmodellierungssystem NEMO hat auch die Stärke unser Partnerschaft im europäischen Kontext demonstriert“, fügt Prof. Dr. Adrian New des britischen National Oceanography Centre hinzu.
Die Erkenntnisse, die die Forschenden aus dem MH370 Fall gewonnen wurden, lassen sich auch auf gänzlich andere Oberflächen-Driftsimulationen übertragen. Zum Beispiel sei es möglich, auch die Ausbreitung von Plastikmüll, passiv treibender Fischlarven oder Plankton besser zurück zu verfolgen oder zu prognostizieren.
Text u. Foto: GEOMAR