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Ostsee: ökosystembasiertes Fischereimanagement

Das erste Ökosystemmodell, welches das gesamte Nahrungsnetz der westlichen Ostsee abdeckt, sagt voraus, wie Meereslebewesen der Region auf verschiedene Fischereiszenarien und zusätzliche vom Menschen verursachte Stressfaktoren reagieren würden. Die Modellsimulationen zeigen, dass ein ökosystembasiertes Fischereimanagement die Bestände kommerziell relevanter Fischarten und der gefährdeten Schweinswale wiederherstellen würde. Das Leben im Meer würde widerstandsfähiger, und es würden sich Optionen für eine zusätzliche Kohlenstoffspeicherung eröffnen, erklärt ein Team von Meereswissenschaftler:innen unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel in einer jetzt in Frontiers in Marine Science veröffentlichten Studie.

Jahrzehntelange Überfischung in Verbindung mit Verschmutzung durch Nährstoffeinträge, rapide zunehmendem Sauerstoff-Verlust, Erwärmung und Ozeanversauerung haben Fischbestände und die Schweinswal-Population (Phocoena phocoena) der westlichen Ostsee an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Die kommerziell relevanten Bestände von Dorsch (Gadus morhua), Hering (Clupea harengus) und Sprotte (Sprattus sprattus) können jedoch wieder hergestellt und die Aussichten für Meeressäuger verbessert werden, erklärt ein Team von Meereswissenschaftler:innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, des Bundesamts für Naturschutz (BfN) und des Instituts für Biowissenschaften und Bioressourcen des Nationalen Forschungsrats Italiens (CNR).

Anhand von Modellsimulationen prüften die Forschenden fünf Szenarien, die von einem Fischerei-Stopp bis zum ökosystembasierten Fischereimanagement reichten. Dieser Ansatz berücksichtigt die Rolle der Arten innerhalb ihres Ökosystems und passt Fangmengen entsprechend an, um die Fischbestände in einem gesunden, produktiven und widerstandsfähigen Zustand zu halten. Eine Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift Frontiers in Marine Science veröffentlicht wurde, zeigt: Durch ökosystembasiertes Fischereimanagement würden sich innerhalb eines Jahrzehnts die gefährdete Schweinswal-Population erholen und die Fangmengen von Hering und Dorsch deutlich steigen. Das Nahrungsnetz wäre nicht nur weniger anfällig für Überdüngung und den Klimawandel, sondern würde auch die Kohlenstoffspeicherung besser unterstützen als in einem „Business as usual“-Szenario, bei dem die heutigen Fischereipraktiken beibehalten werden.

Die Studie stützt sich auf jahrelange Datenerhebungen am GEOMAR. Aufbauend auf einem ersten Prototyp und einer immensen Datenmenge haben die Forschenden nun das allererste Modell für die westliche Ostsee entwickelt, das Räuber wie Schweinswale und Robben, verschiedene Fischarten und andere Meerestiere, Plankton und Algen sowie deren Wechselwirkungen unter verschiedenen Szenarien berücksichtigt. „Der Blick auf das Gesamtbild des Nahrungsnetzes hilft bei der Ermittlung von Management-Optionen, die wichtige Nahrungsressourcen und die davon abhängige Wirtschaft erhalten“, betont Dr. Marco Scotti, Meeresökologe am GEOMAR und CNR, Hauptautor der jüngsten Veröffentlichung.

Ökosystembasiertes Fischereimanagement würde bedeuten, den Fang junger Dorsche einzustellen, die Fänge von Hering und Sprotte auf die Hälfte und die Fänge von ausgewachsenem Dorsch und Plattfischen auf 80 Prozent des höchstmöglichen Dauerertrags zu reduzieren. Dieser Ansatz wurde mit einem „Business as usual“-Szenario verglichen, das durch eine durchschnittliche fischereiliche Sterblichkeit für alle befischten Bestände in den Jahren 2015 bis 2019 gekennzeichnet war.

Beim „Business as usual“-Szenario sinken die Dorschbestände leicht unter die Zahlen von 2019 und die Heringsbestände bis 2050 auf fast die Hälfte ihrer Größe von 2019. Die Bestände von Sprotten und Plattfischen nehmen etwas zu, was auf einen erheblichen Regimewechsel hindeutet. Ein ökosystembasiertes Fischereimanagement würde dagegen bis 2050 im Vergleich zum Zeitraum 2015 bis 2019 zu einem Anstieg um fast 70 Prozent beim Dorsch und um 50 Prozent beim Hering führen. Die Fänge von Plattfischen würden um fast 20 Prozent steigen, allerdings bei reduziertem Fischereiaufwand und geringeren Kosten. Das Potenzial für die Kohlenstoffspeicherung wäre bei einem ökosystembasierten Fischereimanagement mehr als dreimal so groß wie bisher.

„Die Gemeinsame Fischereipolitik Europas fordert ein Ende der Überfischung bis 2020 und danach den Wiederaufbau gesunder und widerstandsfähiger Ökosysteme“, sagt Dr. Rainer Froese, Fischereibiologe am GEOMAR und Mitautor der Studie. „Die Überfischung der Vergangenheit und Gegenwart – nicht der Klimawandel – war die Hauptursache für den jüngsten Zusammenbruch der Herings- und Dorschbestände sowie der rentablen Fischerei in der westlichen Ostsee im Allgemeinen. Eine Fortsetzung der bisherigen Praxis würde zudem den stark gefährdeten Schweinswal an den Rand des Aussterbens treiben. Im Gegensatz dazu würde ein ökosystembasiertes Management gesunde Bestände und Fischereien wiederherstellen und uns sogar dabei helfen, den Klimawandel zu bekämpfen. Um die westliche Ostsee zu retten, muss der Dorsch- und Heringsfang für einige Jahre eingestellt werden, bis sich diese Bestände erholt haben. Während dieser Zeit müssen die Fischer für ihre Verluste entschädigt werden. Die Fischerei auf Scholle und andere Plattfische kann in der Zwischenzeit fortgesetzt werden.“

Text: GEOMAR, Foto: Maike Nicolai, GEOMAR

Sichten eines Forschungs-Fischereihols an Bord der ALKOR in der Eckernföder Bucht.
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