Per Anhalter auf dem Weg in die Tiefsee
In-situ- Probenahmen während einer Expedition und anschließende Messungen werfen ein neues Licht auf das Absinken von Mikroplastik von der Meeresoberfläche in die Tiefsee. Sie zeigen, dass die Partikel – wie frühere Modellierungsansätze nahelegten – Teil des Meeresschnees werden, erklärt ein internationales Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel in einer heute in der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology erschienenen Veröffentlichung. Die Erkenntnisse ermöglichen ein besseres Verständnis der vertikalen Transportdynamik und der damit verbundenen Risiken für das Nahrungsnetz. Außerdem illustrieren sie, dass menschenverursachtes Mikroplastik den marinen Kohlenstoff im natürlichen Kreislauf überlagert.
150 Millionen Tonnen Plastik verschmutzen heute den Ozean – und weil der Kunststoff nur langsam zerfällt, nimmt die Menge weiter zu. Aktuelle Modellrechnungen zeigen, dass nur etwa ein Prozent des Plastiks an der Meeresoberfläche nachgewiesen werden kann, wo es aufgrund seines Auftriebs schwimmen sollte. Am Meeresboden findet sich etwa 10.000 Mal mehr. Doch wie genau kommt es dorthin? Ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden Dynamik trägt dazu bei, den Ozean vor der Plastikverschmutzung und den damit verbundenen Risiken für das Leben im Meer, das Nahrungsnetz und den Stoffkreislauf zu schützen, einschließlich der Kohlenstoffpumpe, die für die Fähigkeit des Ozeans, Kohlendioxid aufzunehmen und den Klimawandel abzuschwächen, von entscheidender Bedeutung ist.
Wissenschaftler:innen aus Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika haben zum ersten Mal Daten über den Plastikexport von der Meeresoberfläche in die Tiefe des Nordatlantikwirbels vorgelegt, die auf In-situ-Messungen beruhen. Damit werfen sie neues Licht auf die vertikalen Mikroplastik-Flüsse. In der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology erläutern sie, wie die Partikel in Meeresschnee eingeschlossen werden – organisches Material, das in der Wassersäule nach unten sinkt und als Nahrung für Plankton und größere Tiere dient. Die Beobachtungen bestätigen frühere Ergebnisse von Modellierungsansätzen und tragen dazu bei, die Frage nach dem „fehlenden Plastik“ an der Meeresoberfläche zu beantworten.
„Die Probennahmen, die während einer Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff POSEIDON vor den Azoren im Jahr 2019 durchgeführt wurden, ergänzen die auf Modellsimulationen beruhenden Abschätzungen um wichtige Details“, sagt Dr. Luisa Galgani. Die Marie Curie Global Fellow am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und dem Harbor Branch Oceanographic Institute der Florida Atlantic University (USA) ist Hauptautorin der aktuellen Veröffentlichung. „Winzige Plastikteilchen, die zwischen 0,01 und 0,1 Millimeter groß sind, verschwinden von der Meeresoberfläche, weil sie Teil des Meeresschnees werden. Größere Teile können den gleichen Weg nehmen, sinken aber aufgrund ihrer größeren Masse auch schneller.“
Mit Hilfe spezieller Sedimentfallen und verschiedener optischer und chemischer Analysen fanden Galgani und ihre Kolleg:innen die höchsten Konzentrationen von Plastikpolymeren in Tiefen zwischen 100 und 150 Metern. Eine hochempfindliche Analysemethode, die am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg entwickelt wurde, ermöglichte die Quantifizierung selbst kleinster Mengen von Mikroplastik. In den oberflächennahen Schichten wurden auch hohe Konzentrationen an organischem Material und marinen Gelen entdeckt – dem natürlichen Klebstoff, der zur Bildung größerer Aggregate beiträgt, der auch als Meeresschnee bezeichnet wird. Sie ermöglichen einen effektiven Abwärtstransport. In den sonnendurchschienenen oberen hundert Metern finden auch Plankton und andere Meereslebewesen ihre Nahrung. „Je mehr Plastikpartikel im Meeresschnee enthalten sind, desto größer ist das Risiko für Meerestiere, die sich davon ernähren“, stellt Dr. Galgani fest.
Darüber hinaus wird Mikroplastik durch seine Häufigkeit im Meerwasser zu einem neuen Bestandteil des marinen Kohlenstoffkreislaufs. In den Proben aus dem nordatlantischen Wirbel, einem Plastikmüll-Hotspot, konnten bis zu 3,8 Prozent des abwärts transportierten organischen Kohlenstoffs auf Plastik zurückgeführt werden. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Plastik nicht nur die Umwelt verschmutzt, sondern auch in den natürlichen Kohlenstoffkreislauf eindringt. Zukünftige Studien müssen berücksichtigen, dass ein vermutlich signifikanter, zunehmender Anteil des organischen Kohlenstoffs im Ozean nicht auf die Aufnahme von Kohlendioxid über die Photosynthese zurückzuführen ist, sondern aus Kunststoffen im menschlichen Abfall stammt“, resümiert Professorin Dr. Anja Engel, Leiterin des Forschungsbereichs Marine Biogeochemie am GEOMAR und Leiterin der Studie.
Text: GEOMAR, Foto: Mark Lenz/GEOMAR