headerbild Wir sind Weltbürger.

Podiumsdiskussion anlässlich des Abgeordnetentages des Deutschen Marinebundes

Europa muss in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik global agieren

„Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion – Herausforderungen für die Deutsche Marine und die maritime Wirtschaft“ lautete das Thema der Podiumsdiskussion anlässlich des jährlichen Abgeordnetentages des Deutschen Marinebundes am 25.Oktober 2019 in Berlin. Auf dem Podium diskutierten: Thomas Silberhorn, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundes-ministerin der Verteidigung, Michael Gahler, MdEP und Sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Norbert Brackmann, MdB und Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft, Siemtje Möller, MdB und Marinepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Vizeadmiral Rainer Brinkmann, Stellvertreter des Inspekteurs der Marine und Befehlshaber der Flotte und Unterstützungskräfte. Dr. Christoph von Marschall, Redakteur des Tagesspiegels, hat die Diskussion moderiert.

Die maritime Dimension

Staatsekretär Silberhorn eröffnete die Podiumsdiskussion mit dem Appell, die Handlungsfähigkeit und Zusammenarbeit der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion wirksamer und offensiver zu verstärken. Die Rolle der Europäer in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik müsse sich im Einvernehmen mit der NATO globaler gestalten, denn die USA zögen sich zunehmend aus der globalen sicherheitspolitischen Verantwortung zurück. Die EU müsse strategische Grundlagen und Prioritäten für ein offensives Krisenmanagement entwickeln und durchsetzen, um vor allem in den Krisenherden unserer unmittelbaren Nachbarschaft, auf dem Balkan, im Mittelmeer. im Nahen Osten, in Nordafrika und im Persischen Golf/Straße von Hormuz zu agieren. Bei außenpolitischen Konfliktherden der vergangenen Jahre. ob Syrien, die Terrormiliz IS oder der Tankerkrieg im Persischen Golf/Straße von Hormuz: Die EU hat gemahnt, moralisiert und die westliche Wertegemeinschaft beschworen, doch sie war kein maßgeblicher Akteur. Sie war nicht einmal fähig, zum Schutz der Freiheit der Schifffahrt in der Straße von Hormuz eine europäische Marinemission aufzustellen bzw. sich an der US-geführten Eskortmission „Sentinel“ zu beteiligen.
Darüber hinaus gelte es für die Europäer, die Zusammenarbeit unter den Demokratien in der Welt zu stärken. So sollte Europa im asiatischen Raum u.a. mit Japan, Australien und Indien, aber auch mit den USA kooperieren, um die Freiheit der Hohen See zu sichern und zu erhalten. Grundsätzlich sollten die Verteidigungsinitiativen der EU ausgebaut und verstärkt werden. Dazu zählt insbesondere die PESCO (Permanent Structured Cooperation) mit dem Ziel, gemeinsame Verteidigungsprojekte umzusetzen und den europäischen Pfeiler in der NATO durch eigenständige Handlungsfähigkeit zu stärken.

Probleme und Herausforderungen

MdEP Gahler betonte aus EU-Sicht, dass die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der EU und hier vor allem PESCO gut vorangekommen sei. Dabei verwies er auf die geplante deutsch-französische Zusammenarbeit in der Entwicklung eines Kampfflugzeugs (Future Combat Aircraft) und eines Hauptkampfpanzers sowie auf das spanisch-norwegische Fregattenprogramm. Dennoch sei ein größerer EU-Haushalt im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik erforderlich, um PESCO weiter auszubauen und um die EU vor allem im maritimen Bereich handlungsfähiger zu gestalten. Mit Blick auf die deutschen restriktiven Rüstungsexportbestimmungen bei europäischen Gemeinschaftsprojekten habe es Fortschritte gegeben. Das Bundeskabinett hat ein Abkommen über Rüstungsexporte mit Frankreich geschlossen, das die Ausfuhr von gemeinsamen Rüstungsprojekten regelt. Wenn Komponenten aus einem Land in Projekten verwendet werden, die im anderen Land hergestellt und exportiert werden, gilt künftig eine De-minimis Regel, wonach kein Einspruch gegen Exporte möglich ist, sofern der Komponentenanteil unter 20 Prozent liegt.
In diesem Zusammenhang verwies MdB Brackmann auf den Marineschiffbau mit seiner umfangreichen Zulieferindustrie in Deutschland, der zwingend auf den Export angewiesen sei, weil er von den Aufträgen der kleinen Deutschen Marine (derzeit 46 Einheiten) nicht existieren könne. Exportverbote wie sie jüngst u.a. gegen Saudi-Arabien und Türkei verhängt bzw. verlängert wurden, schädigten die maritime Wirtschaft in Deutschland. Vielmehr gelte es, die maritime High-Tech-Wertschöpfungskette zu erhalten und auszubauen. Dies ist beim U-Bootbau gelungen, denn dieser wurde im Koalitionsvertrag mit seinen Kernfähigkeiten zur schützenswerten Schlüssel-industrie in Deutschland erklärt. Es liege im sicherheitspolitischen Interesse Deutschland, dass auch der Marineüberwasserschiffbau zur Schlüsselindustrie erhoben wird. Ein entsprechender Antrag werde demnächst im Bundeskabinett diskutiert. Grundsätzlich seien aber nationale wie europäische verbindliche Neuregelungen für den Rüstungsexport wie für die maritime Wirtschaft u.a. zum Erhalt der Schlüsselindustrie erforderlich. Angesichts der deutschen Exportverbote wollen u.a. Großbritannien und Frankreich ihre Rüstungsgüter mit dem Label „German free“, also ohne deutsche Komponenten, versehen. Das würde den Ausschluss der deutschen Industrie aus der europäische Rüstungskooperation bedeuten. Deutschland hat z.B. den Bau der Mehrzweck-kampfschiffe (MKS 180) als einziges EU-Mitglied europaweit ausgeschrieben – mit dem Risiko, dass die Wertschöpfungskette ins Ausland geht und sich das Auschreibeverfahren und der Baubeginn über Jahre hinzieht. Frankreichs Staatskonzern Naval Group dagegen hat jüngst den Baubeginn von fünf FDI (Defense and Intervention)-Fregatten, natürlich ohne europaweite Ausschreibung, eingeleitet.
MdB Möller unterstrich die Ausführungen von Brackmann. Sie forderte eine Ausweitung der Schlüsselindustrie, um die Wertschöpfungskette und die Arbeitsplätze der maritimen Wirtschaft in Deutschland zu sichern und auszubauen. Dies sei unumgänglich, um im europäischen Wettbewerb gegen die überwiegend staatliche Schiffbauindustrie in Frankreich und Italien, die vom politischen Rückenwind ihrer Regierungen profitieren, bestehen zu können. Zudem plädierte sie dafür, die De-minimis-Exportregel von 20 auf 40 Prozent anzuheben. Allerdings räumte sie ein, dass in ihrer Partei (SPD) der Rüstungsexport ein sehr „heikles“ Thema sei. Doch müsse die Deutsche Marine über einen großen Schiffspark verfügen können, um die zunehmenden globalen Herausforderungen im Bereich der maritimen Sicherheit im Sinne der europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-union bewältigen zu können.
Für Vizeadmiral Brinkmann sind die globalen Herausforderungen im 21. Jahrhundert maritim geprägt. 71 Prozent der Erde ist mit Wasser bedeckt. In einer Welt wachsender Überbevölkerung (heute: 7,67 Milliarden Menschen, 2050 ca. 10 Milliarden), knapper werdender Ressourcen auf den Kontinenten, folgenschwerer Klimawandel und beginnender weltweiter Migrationsströme über See sowie einer Globalisierung der Weltwirtschaft und Bildung riesiger Wirtschafts- und Ballungsräume an den Küsten (Seidenstraße) sind die Ozeane als unzerstörbare Weltverbindungswege und als Rohstoffquellen wichtiger denn je zuvor. Das Meer bestimmt das Weltklima, ist die Quelle wirtschaftlichen Reichtums und im weitesten Sinne der geopolitische und geostragische Raum der Machterweiterung. Vor diesem Hintergrund müsse Europa eine Antwort auf die globalen Heraus-forderungen finden und die maritime Zusammenarbeit stärken. So sollte Europa einen ständigen gemeinsamen Marineverband aufstellen, der unter europäischer Führung weltweit Europas Sicherheitsinteressen (u.a. Freiheit der Hohen See) durchsetzt. Damit könnte Europa, das wirtschaftlich ein Riese, aber politisch noch ein Zwerg ist, eine ihm zustehende handlungsfähige Rolle im sicherheitspolitischen Weltgeschehen erringen.
Zur Rolle der Deutschen Marine in der europäischen Zusammenarbeit verwies Brinkmann auf den Ostseeraum, in dem die Deutsche Marine mit allen Ostseeanrainer-Marinen (außer Russland) regelmäßig in gemeinsamen Übungen und Manövern und auch in der Ausbildung eng kooperiere.
So habe die Deutsche Marine die Baltic Commanders Conference initiert und einen multinationalen Führungsstab (DEU MARFOR) für die Planung und Durchführung von gemeinsamen Operationen eingerichtet. Damit stelle die Deutsche Marine einen Vorreiter für eine europäische maritime Zusammenarbeit dar.

Erkenntnisse

Die Diskussionsrunde hat die Probleme und Herausforderungen in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion konkret und umfassend herausgearbeitet. Zur ihrer Überwindung bzw. Bewältigung aber gilt es, Reden und Handeln in Einklang zu bringen. Handlungsunfähigkeit kann sich Europa nicht länger leisten. Alle verlässlichen Anker europäischer und auch deutscher Außen- und Sicherheitspolitik haben sich gelockert: die transatlantische Partnerschaft, der Zusammenhalt der EU (Brexit), die Stabilität der NATO, der Multilateralismus und damit die regelbasierte internationale Ordnung. Daher müsse von Europa wieder „power projection“ in Form maritimer Handlungsfähigkeit ausgehen. Das war die wesentliche Erkenntnis der Diskussionsrunde.


Text:Dieter Stockfisch / Fotos: Iris Quentin

Staatssekretär Thomas Silberhorn sorgte mit seinem fundierten und klaren Statements für ausreichend Gesprächsstoff

Die zahlreichen Gäste im Holiday Inn Berlin Conference Centre erlebten eine äußerst lebhafte Diskussion

Michael Gahler, Thomas Silberhorn, Norbert Brackmann

Zurück zur Übersicht