Quo vadis Antarktisches Bodenwasser?
Die Bildung von Tiefenwasser, das eine wichtige und empfindliche Stellschraube im Klimasystem darstellt, findet nur in wenigen Teilen der Weltmeere statt. Neben der bekanntesten Region im subpolaren Nordatlantik geschieht dies auf der Südhalbkugel nur an wenigen Stellen, insbesondere im Weddellmeer in der Antarktis. Dort wird das sogenannte Antarktische Bodenwasser gebildet. Während sich diese Wassermasse heute nordwärts in die anderen Ozeanbecken verteilt, zeigen Ergebnisse einer neuen Studie unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, dass dies unter klimatisch extremen Bedingungen anders war.
Meeresströmungen sind für die globale Umverteilung von Wärme und damit auch für das Klima auf der Erde von essentieller Bedeutung. Durch die Tiefenwasserbildung rund um die Antarktis wird zum Beispiel Sauerstoff in die Tiefsee transportiert. Das im Weddellmeer entstehende Antarktische Bodenwasser (AABW) breitet sich normalerweise nordwärts in den Südatlantik und Indischen Ozean aus. Während der Höhepunkte der beiden letzten Eiszeiten war die Zufuhr des Tiefenwassers in den südlichen Atlantik offenbar unterbrochen, wie eine neue Studie unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zeigt.
„Bisher war die Wissenschaft der Auffassung, dass Antarktisches Bodenwasser auch während der Eiszeiten gebildet und in weite Teile des Südozeans exportiert wurde“, erläutert Dr. Marcus Gutjahr, Koautor der Studie vom GEOMAR. „Möglicherweise fand die Tiefenwasserbildung statt, doch zirkulierte diese im Gegensatz zu heute nachweislich nicht in den südlichen Atlantik“, so Gutjahr weiter. Höchstwahrscheinlich ist eine generell verlangsamte Zirkulation des Südozeans während der Kaltzeiten für dieses Aussetzen des AABW-Exports verantwortlich. Die Autoren der Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen ist, haben verschiedene Sedimentkernproben aus dieser Region ausgewertet. In den Proben haben die Wissenschaftler mit Hilfe von Neodym- und Blei-Isotopensignaturen die Herkunft des Tiefenwassers über die letzten beiden größten Vereisungsphasen der letzten 140.000 Jahre bestimmen können. „Während aus den Sedimenten gelöste Neodym-Isotope Auskunft über die Herkunft des Bodenwassers geben, stecken in Blei-Isotopensignaturen Informationen über die durchschnittliche Zusammensetzung der gesamten Wassersäule“, erläutert Erstautor der Studie, Dr. Huang Huang, vom GEOMAR.
Das Ergebnis der Studie ist insofern überraschend, als dass ähnliche Störungen des AABW-Exports auch während des klimatischen Optimums des letzten Interglazials (Warmzeit) vor etwa 128.000 Jahren nachgewiesen wurden. Diese könnten durch starkes Schmelzen vor allem im Bereich des Westantarktischen Eisschildes verursacht worden sein, ein Effekt, der mit großer Wahrscheinlichkeit auch in einem zukünftig wärmeren Klima auftreten wird. „Im Ergebnis kann sich durch eine solche Störung in der Tiefenzirkulation langfristig das gesamte Wärmebudget des Südozeans und dessen Fähigkeit, Wärme aus der Atmosphäre aufzunehmen, signifikant verändern.“, so Dr. Gutjahr. Die Eigenschaften des heute gebildeten Antarktischen Tiefenwassers haben sich über die letzten Jahrzehnte bereits nachweislich verändert. Es ist heute wärmer, weniger salzhaltig und weniger voluminös, was für geringere Bildungsraten spricht. Letztendlich legen die neuen Ergebnisse nahe, dass die Rahmenbedingungen für den Export Antarktischen Tiefenwassers aus dem Weddellmeer weder in extremen Kalt- oder Warmphasen gegeben sind. Die Eindeutigkeit der neuen Ergebnisse verdankt dieses Projekt nicht zuletzt auch der einzigartigen Sedimentkernsammlung des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven sowie der Zusammenarbeit mit dem dortigen Wissenschaftler und Koautor Dr. Gerhard Kuhn.
In einem nächsten Schritt will Dr. Gutjahr genauer den Export von AABW aus dem Weddellmeer im Ausstromgebiet ins Scotiameer näher an der Antarktis untersuchen. So können klimatisch instabile Zeiten der letzten Millionen Jahre erforscht werden. Dafür stehen neue Proben zur Verfügung, die während einer internationalen Expedition im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP-Expedition 382) Anfang 2019 gewonnen wurden. Mittelfristig sollen dann auch Proben aus anderen Regionen des südlichen Ozeans hinzukommen, um die Ausbreitungspfade in andere Ozeanbecken genauer zu untersuchen. Es ist ein durchaus langwieriges Detektivspiel, mit dem die Forschenden mehr über Kontrollmechanismen des Klimas der Südhalbkugel erfahren wollen. „Ultimativ verfolgen wir das Ziel, voraussagen zu können, unter welchen klimatischen Rahmenbedingungen welche Teile des Antarktischen Eisschildes substanziell schmelzen werden und welche unmittelbaren Effekte dies für die Zirkulation des Südozeans hat“, so Gutjahr abschließend.
Text u. Grafik: GEOMAR