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Schülerprojekt aus Cottbus

Im Mai/Juni 2018 wurde in den Geschichtsstunden im Cottbuser Oberstufenzentrum auf Grund des 65. Jahrestages im Unterricht ausführlicher als sonst auf den 17. Juni 1953 eingegangen. Die Schülerinnen Cathleen Reusch, Heidi Hallmann, Carolin Nicolay und Lee-Ann Gaster besuchten gemeinsam mit ihrem Klassenleiter Bernhard Neidnicht eine Sonderausstellung zu dieser Thematik im Cottbuser Museum.

Während der anschließenden Diskussion der Schüler mit dem Museumspädagogen über die Ursachen des Aufstandes in der DDR, ergänzte Neidnicht, dass die geheime Aufrüstung der Marine einen entscheidenden Anteil an der Verschärfung der Krise gehabt habe. Die gigantischen Pläne der Führung der UdSSR und DDR auf maritimen Gebiet würden besonders deutlich im „Geheimdokument Zeuthen“ werden (benannt nach einer kleinen Stadt zwischen Berlin und Cottbus). Weder der Mitarbeiter des Museums noch einer der Schüler hatte je von diesem Projekt gehört. Nun war der Ehrgeiz von Cathleen Reusch, inzwischen gewählte Klassensprecherin, geweckt. Die schon lange geplante Studienfahrt der Klasse führte nach Dranske auf der Insel Rügen. Also in genau jenes Gebiet, in dem das ambitionierte Rüstungsvorhaben umgesetzt werden sollte. So erhielten Lee-Ann Gaster und Cathleen Reusch den Auftrag, nach Spuren vor Ort zu suchen.

Als das Thema des Geschichtswettbewerbes des Bundespräsidenten 2018/19 am 01. September bekanntgegeben wurde, fragte der Lehrer in der Klasse, ob jemand teilnehmen möchte. Neben Lee-Ann und Cathleen meldeten sich noch Heidi Hallmann und Carolin Nikolay. Ziel war, das „Geheimdokumemt Zeuthen“, zu dem ja bereits einiges Material vorlag, weiter zu verfolgen. Allerdings hatten die Schülerinnen keine „zündende Idee“, wie sie dieses mit dem Thema des Wettbewerbes „So geht’s nicht weiter. Krise, Umbruch, Aufbruch“ verbinden könnten.

Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung des Geschichtswettbewerbes für das Land Brandenburg in Potsdam Ende September 2018, stellte Silvana Hilliger (Behörde zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur in Brandenburg) als Referentin einige mögliche Themen vor. Unter anderem erschien in der Präsentation der Begriff „Dienst für Deutschland“. Bei den Recherchen zum „Projekt Zeuthen“ waren die Schülerinnen bereits auf diese FDJ-Initiative gestoßen. Ein großer Teil der jungen FDJ-Mitglieder wurde nämlich auch zum Aufbau militärischer Anlagen eingesetzt. Lehrer Neidnicht stellte seine Idee vor. Gleichzeitig verdeutlichte er die große Herausforderung, denn mit dieser Thematik hatte sich tatsächlich noch niemand beschäftigt. Damit war das Thema der Wettbewerbsarbeit geboren.

In einer der Zusammenkünfte diskutierten Schülerinnen die Arbeitsteilung. Cathleen hatte sich bereits tief in die Thematik der Marine eingearbeitet und wollte sich weiter diesem Schwerpunkt widmen. „Am Anfang belief sich mein Verständnis bezüglich der Marine auf ein Minimum. Durch die Beschäftigung mit Literatur zur Marine … und insbesondere Artikel und Bücher von Herrn Dr. Ingo Pfeiffer … faszinierte mich das Thema zunehmend.“ (C. Reusch)

Der Rolle der FDJ bei der geheimen Aufrüstung hatte die Aufmerksamkeit von Heidi auf sich gezogen. „Als ich das erste Mal vom `Dienst für Deutschland` hörte, sagte mir der Name gar nichts. Ich konnte mir nicht vorstellen, worum es sich dabei handelte. Auch andere Personen, die ich fragte, konnten mir nichts dazu sagen. Genau dies war es, was mich neugierig machte. Wie konnte es sein, dass eine Organisation einfach aus der Geschichte und der Erinnerung verschwindet? Wurde sie absichtlich verschwiegen? Warum? Ich war der Meinung, dass man Geschichte nicht einfach totschweigen darf. Also nahm ich mir vor, mich mit diesem Thema zu befassen.“ (H. Hallmann)

Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die Material- und Quellenlage sehr schlecht war. Insbesondere gestaltete sich der Zugang äußerst kompliziert. Nachdem die Schülerinnen einen Buchtitel zum „Dienst für Deutschland“ gefunden hatten, konnte dieses Buch nirgendwo käuflich erworben werden. Auch Bibliotheken und Internet konnten nicht helfen. Deshalb wandten sich die Schülerinnen uns an Silvana Hilliger. Diese vermittelte nach einigen Tagen tatsächlich den Kontakt zu Dr. Potraz, der im Besitz eines Exemplars des Buches war und dieses zur Verfügung stellte. Ziel war auch, unmittelbare Bezüge bzw. Spuren in der Heimatregion, der Niederlausitz, zu finden. Am Wochenende des 15./16. Dezember 2018 veröffentlichte der „Märkische Bote“ endlich einen kurzen von Heidi schon länger erbetenen Aufruf. Tatsächlich meldete sich ein Zeitzeuge!

„Bei einem Treffen erzählte er mir von seinen persönlichen Erfahrungen und eröffnete mir damit eine etwas andere Sichtweise, als jene, ich mir durch Bücher und Dokumente gebildet hatte.“ (H. Hallmann)

Heidi arbeitete sich – ebenso wie Cathleen – sehr tiefgründig in den historischen Kontext hinein. Alle ihr zur Verfügung stehenden Quellen unterzog sie einer kritischen Analyse, fand völlig selbständig Zusammenhänge. Dabei gewann die Schülerin erstaunliche Einsichten und Erkenntnisse.

Noch schwieriger gestaltete sich die Suche nach Dokumenten bzw. Unterlagen zum „Geheimdokument Zeuthen“. Was nicht verwunderlich war, denn schließlich handelte es sich ja um ein geheimes Dokument der Führung der DDR/SED, initiiert von der Besatzungsmacht UdSSR. (Dies wurde uns jedoch erst bei unseren Recherchen so richtig bewusst.)

Da Lehrer Neidnicht seinen Militärdienst in der „Volksmarine“ (Seestreitkräfte der DDR) geleistet hatte, interessiert er sich bis heute für aktuelle Entwicklungen bei der Marine. Ihm fiel ein, dass er vor einigen Jahren an einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung teilgenommen hatte, auf der u.a. ein Fregattenkapitän a.D. der Volksmarine referierte. So erfragten wir bei der KAS die Kontaktdaten dieses Mannes. Und er antwortete wirklich auf die Anfrage, war unter einigen Bedingungen zu einer Zusammenarbeit bereit. So fuhren die Schülerinnen am 15.11.2018 gemeinsam zu einem Treffen mit dem Zeitzeugen und Experten Dr. Pfeiffer Fregattenkapitän a.D. nach Berlin.

Was sie dort erlebten, war eine riesige Überraschung. Der Zeitzeuge hatte sich zu allen (!!!) Fragen, die sie ihm im Vorfeld zugeschickt hatten, tiefgründig vorbereitet. Er erteilte(bereitwillig und umfassend Auskunft, hatte viele Quellen im Original oder als Kopie bereits mitgebracht. Als Ort des Treffens wählte Dr. Pfeiffer das Restaurant „Marinehaus“ in Berlin-Mitte. In diesem historischen Gebäude waren in den nachrevolutionären Kämpfen im März 1919 Teile der Volksmarinedivision untergebracht. Zu Beginn unserer Zusammenkunft war auch der historisch interessierte Eigentümer des Restaurants zugegen, welcher einen kurzen Überblick über dessen Entwicklung gab. Unser Gespräch entwickelte eine unwahrscheinliche Eigendynamik. So waren nach ca. 3 ½ Stunden die Aufnahmekapazitäten erschöpft.

Cathleen vertiefte sich in das Geheimdokument Zeuthen. Dabei leisteten ihr die Hinweise von Dr. Pfeiffer wertvolle Dienste. Leider erhielt sie von der Stadtverwaltung Zeuthen keine Antwort auf ihre wiederholten Anfragen. Die Schülerin wollte eigentlich herausfinden, ob es die Villa, in welcher die Pläne erarbeitet wurden, heute noch gibt bzw. welche Verwendung das Gebäude heute hat. Cathleen bemerkte bei ihren Nachforschungen zur geheimen Aufrüstung der DDR, dass in der aktuellen Literatur (auch den Lehrbüchern), es keine Aussagen zur Entwicklung im westlichen Teil Deutschlands gab. Also forschte sie auch in diese Richtung…

Es zeichnete sich allmählich immer deutlicher ein neues Problem ab: So, wie sich das die vier Schülerinnen gedacht hatten, nämlich eine gemeinsame Arbeit zu schreiben, würde es nicht funktionieren. Der vorgegebene Maximalumfang von 50 Seiten war nicht zu halten. Nach gemeinsamer Beratung wurde entschieden, dass drei separate Wettbewerbsbeiträge eingereicht werden sollen. (Die beiden Arbeiten von Cathleen und Heidi gehören inhaltlich sehr eng zusammen und beide Schülerinnen nahmen erfolgreich interessante Querverweise vor.)

Heidi und Cathleen arbeiteten überaus selbständig und hielten alle Termine akkurat ein.

Der (nun) dritte Teil, die Dokumentation des Zeitzeugen-/ Expertengesprächs wurde von Carolin und Lee – Ann erstellt. In Carolins Leben „spielte die Marine nie wirklich eine Rolle.Die Geschichte und Entstehung unserer heutigen Bundesrepublik war aber schon immer ein großer Interessenbereich von mir. Die Entwicklung der Marine trug, so wie alle anderen Einflussfaktoren, dazu bei.“ (C. Nikolay)

Carolin hatte bereits unmittelbar nach der Befragung des Zeitzeugen/Experten Dr. Pfeiffer Fregattenkapitän a.D. auf der Rückfahrt von Berlin den Gedanken geäußert, dass ja eigentlich das Leben dieses Mannes genau das Thema des Wettbewerbes widerspiegelte: „So geht’s nicht weiter. Krise – Umbruch – Aufbruch“. In der DDR geboren und aufgewachsen, erlebte er viele Höhen und Tiefen dieses Staates. Dessen letzte Krise und der Untergang der DDR 1989/90 bedeuteten auch für jenen Mann eine ganz persönliche Lebenskrise. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Generation, sah er jedoch in dieser Krise, diesem kompletten Umbruch seines beruflichen und privaten Lebens, auch die Chance für einen neuen Aufbruch – und er nutzte diese.

Lee-Ann, die „Technikerin“ unter den vier Mädchen, erstellte einen Film über unseren Zeitzeugen Fregattenkapitän a.D. Pfeiffer. Die von Carolin verarbeiteten Fakten und Informationen, sollten mit den konkreten Aufnahmen des Zeitzeugeninterviews belegt werden. In dieser stressigen Zeit, unmittelbar vor dem termingerechten Einreichen des Films, wurde uns so richtig bewusst, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes „in einem Boot saßen“, also einer auf die Zuverlässigkeit des Anderen angewiesen war. Das hatte Dr. Pfeiffer doch auch auch als „Marinegedanken“ deutlich gemacht!

Nach Abschluss des Projektes stellte sich die Frage, was die ganze Anstrengung denn nun gebracht hatte. Dazu sollen nochmal die Autorinnen zu Wort kommen.

In Bezug auf den „Dienst für Deutschland“ stellte Heidi fest: „Man hat damals Menschlichkeit hinter Erfolg angestellt. Es kam wie es kommen musste, man scheiterte. Also wurde versucht, alles zu verschweigen. Ich persönlich denke, dass niemand das Recht dazu hat, Geschichte zu verheimlichen, nur weil man mit dem Ausgang nicht zufrieden ist. Immerhin lernt man genau aus diesen Fehlern….. Das Projekt zeigte mir auch, dass Geschichte immer subjektiv ist. Selbst wenn etwas aus Dokumenten eindeutig erscheint, kann es sein, dass jemand der dabei war, alles ganz anders sieht. … Ich denke, dass ich nachdem ich mich mit dem Projekt beschäftigt habe, einige geschichtliche Begebenheiten anders sehe als vorher. Man hinterfragt Dinge, wenn man merkt, dass irgendetwas nicht richtig zusammen passt.“

Ein ähnliches Fazit zieht Cathleen: „Mir ist bei der Entstehung des Wettbewerbsbeitrages bewusst geworden, dass die Geschichte nicht nur von einer Seite betrachtet werden darf.

Und Carolin sagt: „Ich kann nur jedem empfehlen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und vor allem unsere Generation mehr zu diesem Themenfeld zu informieren.“

Nun sind die Schülerinnen gespannt, wie die Jury des Geschichtswettbewerbes des Bundespräsidenten die Arbeiten beurteilt. Sie wissen bereits, dass bei mehreren Tausend Teilnehmern auf Bundesebene die Konkurrenz sehr groß ist.

Text u. Fotos: Schülerprojekt Oberstufenzentrum Cottbus

Vor der Schule, 12.04.19, von links: B. Neidnicht; Cathleen Reusch; Heidi Hallmann; Lee-Ann Gaster; Carolin Nikolay

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