Wer flexibel ist, kommt auch in der Fremde besser klar
Invasive Arten verändern Ökosysteme immer wieder. Begünstigt durch klimatische Veränderungen, aber auch durch Einschleppung aufgrund menschlicher Aktivitäten wird es ortsfremden Arten möglich, sich in fremden Umgebungen anzusiedeln. Doch nicht alle Einwanderungen sind erfolgreich. Warum können sich einige Angehörige einer Art besser durchsetzen als andere? Dieser Frage ist ein internationales Team von Forschenden unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel anhand einer invasiven Algenart nachgegangen. Die Studie ist jetzt in der internationalen Fachzeitschrift ISME Journal erschienen.
Ähnlich wie an Land werden auch in den Ozeanen zunehmend Bioinvasionen beobachtet. Als Folge des Schiffsverkehrs, des Transports von Aquakulturorganismen und anderer menschlicher Aktivitäten reisen täglich große Mengen von Algen und Tieren als blinde Passagiere um den Globus. Schätzungen zufolge überlebt jedoch nur ein kleiner Teil von ihnen das Abenteuer und siedelt sich an neuen Orten an. Trockenheit, extreme Temperaturen oder Sauerstoffarmut während des Transports töten die meisten marinen Arten. Daher sind erfolgreiche Invasoren oft besonders widerstandsfähig gegenüber Umweltstress. In vielen Fällen können Meeresorganismen jedoch nicht alleine überleben, sondern sind auf mit ihnen in Symbiose lebende Mikroorganismen angewiesen. Wie also würde ein mariner Bioinvasor reagieren, wenn seine Symbionten während des Transports getötet werden?
Dieser Frage sind Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel nun in einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten experimentellen Studie nachgegangen, und zwar am Beispiel der invasiven Alge Agarophyton vermiculophyllum. Von Agarophyton ist bekannt, dass es auf symbiotische Bakterien angewiesen ist, die sehr exponiert auf seiner Oberfläche leben und den Wirt vor anderen pathogenen Mikroorganismen schützen. Die Alge erhält diese symbiotischen Gemeinschaften aktiv durch die Ausscheidung spezifischer Stoffwechselprodukte. Agarophyton stammt ursprünglich aus Ostasien, hat sich aber erfolgreich an den europäischen und nordamerikanischen Küsten ausgebreitet.
„Um zu untersuchen, wie diese Alge ein schützendes Oberflächenmikrobiom wiederherstellt, nachdem sie durch einen Umwelteinfluss gestört wurde, hat unser Team – unterstützt von Mitarbeitern in den verschiedenen Ländern – Algenindividuen aus sieben Populationen in Japan, China, Kalifornien, Virginia, Frankreich und Deutschland gesammelt“, erläutert Projektleiter Dr. Florian Weinberger vom GEOMAR. Die Algen wurden lebend nach Kiel transportiert und unter identischen Bedingungen in den Klimaraumanlagen des GEOMAR gehalten. Nach dem Transport, der unter schonenden Bedingungen durchgeführt wurde, erhielten alle Algen eine gleichartige Behandlung, um die starke Störung des Mikrobioms zu simulieren, die die Alge normalerweise während des Transports und der Invasion erfahren würde. Anschließend wurden sie der gleichen Mischung von Mikroben ausgesetzt, die aus allen Populationen hergestellt wurde. Von da an wurde ihre Fähigkeit, ein neues funktionelles Mikrobiom zu bilden, über sechs Wochen in dieser künstlichen neuen Umgebung überwacht.
„Alle Algenindividuen überlebten die Behandlung, aber diejenigen, die aus nicht einheimischen Populationen stammten, schnitten besser ab und zeigten ein schnelleres Wachstum“, so Dr. Guido Bonthond, der diese Untersuchung gemeinsam mit Dr. Weinberger am GEOMAR durchgeführt hat. Parallel dazu assoziierten sich alle Individuen mit neuen bakteriellen Gemeinschaften. Interessanterweise waren Individuen, die aus einheimischen Populationen in Asien stammten, zurückhaltender bei der Assoziation mit neuen Gemeinschaften als Individuen, die aus Europa oder Nordamerika stammten. Somit sind nicht-einheimische Populationen von Agarophyton flexibler in der Assoziation mit Mikroben und wurden offenbar während ihrer Invasionsgeschichte auf diese Fähigkeit hin selektiert.
„Es zeigt sich bei immer mehr Algenarten, dass sie auf die eine oder andere Weise von Bakterien abhängig sind. Derzeit ist noch wenig über die Rolle dieser Bakterien bei Algeninvasionen und marinen Invasionen im Allgemeinen bekannt“, so Florian Weinberger. Daher trage diese Studie zu wichtigen neuen Erkenntnissen bei, denn sie zeigt, dass ein Invasor eine Störung des Mikrobioms erleiden und neue funktionelle Gemeinschaften in neuen Umgebungen bilden könne, so der Kieler Meeresbiologe. Algen, die gegenüber neuen potenziellen Symbionten wählerisch sind, sind wahrscheinlich weniger erfolgreiche Invasoren. Wenn sie wiederholt eingeführt werden, kann die Selektion für flexiblere Individuen schließlich eine erfolgreiche Invasion begünstigen. „Oder anders herum: wer zu wählerisch ist, schafft die Einwanderung nicht“, so Guido Bonthond abschließend.
Text: GEOMAR, Foto: S. Krueger-Hadfield