Präzises Sehen in der Tiefsee
Der tiefe Ozean ist für Menschen lebensfeindlich und entrückt. Doch mit Hilfe von Tauchrobotern lässt sich diese von Dunkelheit, hohem Druck und niedrigen Temperaturen geprägte Welt erschließen – für die moderne Meeresforschung ebenso wie für industrielle Anwendungen wie die Rohstoffförderung. Entscheidend hierfür sind die Kameras dieser Unterwassergeräte. Für noch bessere Einblicke hat ein Team des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel im Rahmen des durch den Helmholtz-Validierungsfonds geförderten Projekts LIGHTHOUSE besonders leistungsfähige Kamerasysteme entwickelt. Dazu gehört auch eine „Tiefsee-Luftbildkamera“, welche auf neuartigen Unterwasseroptiken der Firma Zeiss aufgebaut wurde, die erstmals die präzise photogrammetrische Vermessung großer Meeresbodenareale ermöglicht. Die Kameras stehen für wissenschaftliche Kooperationsprojekte zur Verfügung.
Die Tiefsee ist eine Region unermesslicher Weite, deren Erforschung in millimetergenauer Auflösung immer bedeutender wird – und dies über Areale von mehreren Hektar hinweg. So liefern genaue Karten des Meeresbodens Wissen, um die Risiken des Tiefseebergbaus oder Naturgefahren etwa durch untermeerische Hangrutschungen und nachfolgende Tsunamis besser abzuschätzen.
Grundlage der hochpräzisen Vermessung sind häufig optische Verfahren. Über Land sind Methoden der Luftbildkartierung und lasergestützten Vermessung bereits etabliert und halten aktuell sogar in Smartphones Einzug. Unter Wasser ist dies physikalisch bedingt ungleich schwerer. „Wir befinden uns etwa dreißig Jahre hinter der Entwicklung an Land“, so Dr. Tom Kwasnitschka. Der Geologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel leitete das durch den Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren geförderte Projekt LIGHTHOUSE, in dessen Rahmen von 2018 bis 2022 ein Tiefseevisualisierungssystem entwickelt wurde. „Die heutigen Tiefseekameras sind noch immer Druckbehälter, quasi kleine U-Boote mit einem Fenster, durch welches eine für den Gebrauch an Land konstruierte Kamera in den Ozean blickt. Die Fenster sind jedoch sehr massiv, um den hohen Drücken Stand zu halten. Dies verzerrt die Aufnahmen zusätzlich zur Lichtbrechung im Wasser so stark, dass eine verlässliche Bildauswertung nicht möglich ist.“
Seit mehr als einem Jahrzehnt widmen sich am GEOMAR mehrere Arbeitsgruppen der Entwicklung von Kameratechnologie und optischen Messverfahren in der Tiefsee. Als neuester Beitrag hat die Arbeitsgruppe „Meeresbodenvisualisierung“ unter der Leitung von Dr. Tom Kwasnitschka die Kamerasystem-Reihe „Deep Survey Cam“ (DSC) um zwei Modelle ergänzt. Wesentliche Neuerung ist der Umstand, dass darin beliebig viele Kameras bildsynchron zusammengeschaltet und über einen Internetbrowser gesteuert werden können. So entsteht aus mehreren Einzelansichten ein komplexes 360-Grad-Gesamtbild des Meeresbodens. Dieses im Rahmen des LIGHTHOUSE-Projekts für die Tiefsee patentierte Konzept ist aktuellen, computergestützten Spezialeffekten der Filmindustrie entlehnt. Zu möglichen Weiterentwicklungen zählt eine kamera-interne Bildverarbeitung mittels künstlicher Intelligenz.
„Für die neuen Modelle haben wir frei verfügbare Komponenten mit der Entwicklung und Fertigung im eigenen Haus kombiniert. Das hat die Kosten für die Entwicklung spürbar im Rahmen gehalten“, erläutert Dr. Kwasnitschka. „Ein willkommener Nebeneffekt dieses Prozesses ist somit beispielsweise, dass nunmehr auch komplexe Titan-Druckkörper, etwa für Kamerasysteme, vollständig am Technik- und Logistikzentrum des GEOMAR entwickelt und gefertigt werden können.“ Eines der beiden neuen Modelle bedient dank hoher Auflösung und einer Fischaugenoptik das Großleinwandformat „Fulldome Video“. Das Schwestermodell nutzt erstmals eine Spezialoptik der Carl Zeiss Jena GmbH, in deren Entwicklung auch GEOMAR-Spezifikationen eingeflossen waren. Diese Optik ist speziell für den Einsatz in extremen Tiefen im direkten Kontakt mit dem Seewasser konzipiert, und berücksichtigt sämtliche Effekte von Druck und Lichtbrechung. „Durch diese Innovation haben wir uns in einen Qualitätsbereich vorgearbeitet, welcher mit der Profifotografie an Land vergleichbar ist. Zudem können wir für die Bildverarbeitung auf Software zurückgreifen, die für die fotobasierte Vermessung an Land gedacht ist“, so Dr. Kwasnitschka. „Im Grunde haben wir es hier mit einer Luftbild-Kamera für die Tiefsee zu tun.“ Für die richtige Ausleuchtung wurde zudem das LED-Blitz-System weiter verbessert.
Nach ersten Tests mit dem ferngesteuerten Tauchroboter (Remotely Operated Vehicle, ROV) ROV PHOCA befinden sich die Geräte jetzt im operationellen Einsatz. Da im Rahmen des LIGHTHOUSE-Projekts nicht nur Prototypen, sondern unmittelbar Kleinserien beider Kamerasysteme gefertigt wurden, stehen diese nunmehr auch für wissenschaftliche Kooperationsprojekte zur Verfügung.
Text u. Foto: GEOMAR, Fotograf: Tom Kwasnitschka