Gefangen im Packeis vor Langeoog
Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) erinnert mit einer Online-Reportage und Zeitzeugen-Interviews an einen schweren Wintereinsatz vor Langeoog
Heute kann sich kaum jemand vorstellen, mit welchen Strapazen und Gefahren die Einsätze der Seenotretter viele Jahrzehnte lang verbunden gewesen sind: Sie kämpften sich in offenen Ruderrettungsbooten durch die Naturgewalten der See. Einer der letzten Einsätze eines solchen Bootes gehört gleichzeitig zu den schwersten in der Geschichte der DGzRS. Nun jährt er sich zum 80. Mal.
Anfang März 1942 schlägt der sich dem Ende neigende Winter noch einmal richtig zu: Ein Schneesturm fegt mit bis zu zehn Windstärken über das Wattenmeer, die Luft misst -14° Celsius. Langeoog ist umringt von Eisschollen, abgeschnitten vom Rest der Welt, die Sicht beträgt weniger als eine Seemeile. Da strandet am 5. März der Lotsendampfer „Rüstringen“ im gefährlichen Mahlsand vor der Insel. Ein weiteres Boot, das zu Hilfe kommt, rettet mit einem Begleitboot vier Mann der Besatzung, strandet dann jedoch ebenfalls. Beide Havaristen schlagen leck.
Auf den Nachbarstationen stationierte Motorrettungsboote der DGzRS können wegen des Eisgangs nicht zu Hilfe kommen. Die Seenotretter der Station Langeoog entschließen sich, die Rettung mit dem alten Ruderrettungsboot, das im Süden der Insel Langeoog im alten Rettungsschuppen liegt, zu wagen. Erst beim zweiten Versuch gelingt es, mit der Unterstützung von acht Pferden und vierzig Soldaten das Ruderrettungsboot über den Eiswall an der Küste zu bringen.
Erst abends um 18 Uhr am 5. März erreichen die Seenotretter mit dem Ruderrettungsboot das zuletzt gestrandete Boot. Den anderen Havaristen können sie im Schneegestöber nicht ausmachen. Sie übernehmen zwölf Mann mit dem Versprechen, später zurückzukehren.
Doch das Ruderrettungsboot gerät in der Accumer Ee in die Eisdrift. Die zwölf Ruderer können sich und die zwölf Geretteten nicht mehr daraus befreien und sind nun dem Eis und dem Tidenstrom hilflos ausgeliefert. Gegen Mitternacht, sechs Stunden nachdem sie die Schiffbrüchigen an Bord genommen haben, ist das Ruderrettungsboot ein Stück weit zwischen die Inseln getrieben. Schneesturm und die eisige Kälte setzen Rettern und Geretteten schwer zu. Kurz vor dem Einsetzen der Ebbe, die das Boot unweigerlich zurück ins offene Meer ziehen würde, entschließen sich die Seenotretter zu dem lebensgefährlichen Schritt, das Boot zu verlassen und aufzugeben. Auf zwanzig Meter Wassertiefe klettern die 24 Mann aus dem Boot auf die Eisschollen. Über das Eis kriechend erreichen alle den Strand.
Allerdings befinden sie sich nicht auf Langeoog, sondern am Ostende der Nachbarinsel Baltrum. Über eine Stunde schleppen sich die Männer durch die stockfinstere Dünenlandschaft, bis sie ein Haus erreichen.
Retter und Gerettete überleben.
Auf der „Rüstringen“, dem ersten Havaristen, wird nahezu die gesamte Besatzung ein Opfer der See. Nur vier Mann werden später durch die Besatzung eines Minensuchers gerettet. Einer von ihnen verstirbt an seinen Erfrierungen. Die Besatzung des zweiten Havaristen wird ebenfalls überleben.
Die freiwilligen Seenotretter von Langeoog werden für diesen schweren Einsatz, den letzten eines Ruderrettungsbootes der DGzRS, mit der Rettungsmedaille am Bande ausgezeichnet
Multimedia-Reportage und Zeitzeugen-Interviews
Wer noch mehr über die Ereignisse erfahren und Zeitzeugen wie Gerhard Johannsen (1922-2021) im Originalton hören möchte, der 19-jährig die Havarie überlebte, der kann dies im Magazin-Bereich der Webseite der Seenotretter finden. Zum 80sten Jahrestag des Einsatzes hat die DGzRS eine Multimedia-Reportage mit Bildern, Texten und Audio-Dokumenten zusammengestellt. Auch die ehrenamtliche Mitarbeiterin Herma von Ostheim kommt dort im Video zu Wort. Ihr Vater war Lotse und einer der vier Überlebenden der „Rüstringen“.
Zur Webseite: www.seenotretter.de/magazin
Text u. Fotos: Die Seenotretter – DGzRS
Unter größten Kraftanstrengungen wird das Ruderrettungsboot am 5.3.1942 über das Packeis vor Langeoog zum Wasser befördert, um den havarierten Schiffen zu Hilfe zu kommen.