Grönland: Regen löst vermehrt Eisschmelze aus
Der grönländische Eisschild schrumpft. Messungen zeigen, dass er rund 270 Milliarden Tonnen Eis jährlich verliert. Ein großer Teil davon fließt als Schmelzwasser von den Gletscheroberflächen ab. Auf der Suche nach den genauen Ursachen dieser Schmelzvorgänge ist eine deutsch-amerikanische Arbeitsgruppe unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel darauf gestoßen, dass zunehmende Regenfälle über Grönland den Eispanzer langfristig schädigen können. Die Studie ist jetzt in der Fachzeitschrift The Cryosphere erschienen.
Das Grönländische Inlandeis ist nach der Antarktis die größte dauerhaft vereiste Fläche der Erde. Doch der Eispanzer schrumpft. Seit etwa 1990 sind die Durchschnittstemperaturen über dem Inlandeis im Sommer um bis zu 1,8 Grad Celsius und im Winter um bis zu 3 Grad Celsius gestiegen. Infolgedessen verliert der Eisschild jährlich etwa 270 Milliarden Tonnen Eis. Lange wurde angenommen, dass Eisberge, die von Gletscherzungen abbrechen und in den Ozean treiben, den größten Teil davon ausmachen. Doch neuere Studien zeigen, dass direkter Schmelzwasserabfluss bis zu 70 Prozent zum Verlust beiträgt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und den USA haben jetzt in der internationalen Fachzeitschrift The Cryosphere eine Studie veröffentlicht, nach der Niederschlagsereignisse über dem grönländischen Eis zunehmend zu den Auslösern der Schmelzwasserbildung gehören. „Regenwetter kommt in Teilen des grönländischen Eisschildes immer häufiger vor, was auch im Winter zu kurzzeitigen Schmelzereignissen führt“, fasst die Erstautorin Dr. Marilena Oltmanns vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel die Studie zusammen.
Um den genauen Ursachen für die Schmelzwasserbildung auf der Oberfläche der grönländischen Gletscher auf die Spur zu kommen, kombinierten die Forscherinnen und Forscher Satellitenbilder mit Wetterbeobachtungen vor Ort aus den Jahren 1979 bis 2012. Satelliten können das Schmelzen des Eises in Echtzeit abbilden, da ihre Bilder Schnee und flüssiges Wasser unterscheiden können. Mehrere über das Eis verteilte automatisierte Wetterstationen liefern gleichzeitig Daten über Temperatur, Wind und Niederschlag.
Durch die Kombination der beiden Datensätze konnten die Forschenden mehr als 300 Ereignisse erkennen, bei denen Regenwetter der erste Auslöser für einen Schmelzvorgang war. „Das war eine Überraschung“, sagt Dr. Oltmanns. Im Verlauf des untersuchten Zeitraums habe sich das Schmelzen im Zusammenhang mit Regen und seinen Folgewirkungen im Sommer sogar verdoppelt und in den anderen Jahreszeiten insgesamt verdreifacht, erklärt sie weiter. Der Gesamtniederschlag über dem Eisschild änderte sich allerdings nicht. Was sich änderte, war die Form des Niederschlags.
Niederschlagsereignisse sind mit verstärkten Südwinden verbunden, die warme, feuchte Luft vom Ozean über den Eisschild bringen. Durch die langzeitige Erwärmung kommt es dabei immer häufiger vor, dass die atmosphärischen Bedingungen die Schwelle überschreiten, an der Niederschlag als Regen und nicht als Schnee eintritt. Zusätzlich zu der warmen Luft transportiert flüssiges Wasser viel Wärme. Unterdessen bilden die warmen Winde, die den Regen brachten, Wolken, die die Wärme über den Gletschern einfangen.
Teilweise gefriert der auf das Eis fallende Regen zwar wieder, doch er verwandelt hellen, reflektierenden Schnee in dunklere, dichtere Eismassen. Scheint dann später die Sonne wieder, wärmt sich das Eis schneller auf und schmilzt auch schneller. „So kann ein Niederschlagsereignis im Sommer oder Frühjahr auch noch Wochen später zum Schmelzen beitragen“, erklärt Marilena Oltmanns.
Bisher ging man davon aus, dass die grönländischen Gletscher schrumpfen, weil im Sommer mehr Eismasse abschmilzt, als im ganzen Jahr durch Niederschläge neu hinzukommt. Durch die räumliche und zeitliche Verschiebung der Schnee-Regen-Grenze tragen Niederschlagsereignisse selbst immer mehr auch zum Eisverlust bei. „Diese Wetterereignisse und ihre vielfältigen Folgeerscheinungen sollten auch in Klima- und Ozeanmodellen berücksichtigt werden. Schließlich ist der Eisverlust in Grönland auch ein wichtiger Faktor beim globalen Meeresspiegelanstieg“, betont Marilena Oltmanns.
Text: GEOMAR, Foto: Tim Brücher/GEOMAR